Ramerberg – Der monatelang schwelende Konflikt ist aufgebrochen: In der Gemeinde Ramerberg wird offen über die Verlegung des Sportplatzes aus der Ortsmitte in den Ortsteil Zellerreit gestritten. Ziel des Projektes sollte nach den Worten von Bürgermeister Georg Gäch sein, die Attraktivität der Gemeinde zu erhalten sowie Kindern und Jugendlichen ein sicheres und geschütztes Umfeld für ihre sportlichen Aktivitäten zu bieten. Doch Bürgermeister, Gemeinderat und Gemeindeverwaltung sehen sich mittlerweile genötigt, gegen „Unterstellungen, Halbwahrheiten und Lügen“ vorzugehen. „Es kann und darf nicht sein, dass gewählte Gemeindevertreter und Mitarbeiter verbal unter der Gürtellinie angegriffen werden, nur weil sie im Sinne des Sportvereins und damit auch indirekt im Sinne der Zukunftsfähigkeit unserer Gemeinde handeln“, ärgert sich Gäch. Mandatsträger und Vereinsvorstände stellten sich schon die Frage, „ob sie sich das Ehrenamt unter diesen Umständen noch weiter antun möchten“. Im Streit drohen die Bedenken einiger Anlieger aus Zellerreit unterzugehen, etwa: mangelhafte Einbindung der Betroffenen, hohe Kosten, fehlender Finanzierungsplan, Planung in einem Naherholungsgebiet, erforderlicher Bodenaustausch wegen niedrigen Grundwasserspiegels, Lichtverschmutzung durch Flutlichtanlagen, notwendige Ertüchtigung der Zufahrtsstraße im Norden mit Verbreiterung im Süden, dort Lärmbelästigung der Anwohner durch erhöhtes Verkehrsaufkommen über verkehrsberuhigte Straßen in Zellerreit. Ein eigener Verein strukturiert nun die rund 200 Einwände und führt den Dialog.
„Das Ganze wurde in den letzten Monaten auf die Spitze getrieben, als wir an den Pranger gestellt wurden, nur weil wir als Gemeinde Recht und Gesetz angewandt haben“, schildert Bürgermeister Georg Gäch den Konflikt in der aktuellen März-Ausgabe vom „Ramerberger Gemeindeblatt“. Die vorangegangene Januar-Ausgabe hatte allein sieben ihrer 36 Seiten der Verlegung des Sportplatzes gewidmet. Diese enthielten die Bauleitplanung in Bildern, Antworten auf Fragen, Bedenken und „falsche Behauptungen“, eine Zeitleiste seit 2010 mit 33 Befassungen im Gemeinderat sowie den Entwurf des Bebauungsplans. Das beruhigte offenbar einige Gemüter in der 1400 Einwohner zählenden Gemeinde wenig, weshalb Gäch seinem Unmut in der aktuellen Ausgabe Luft macht.
Gäch schlägt aber auch versöhnliche Töne an: Er wünsche sich „für die Zukunft einen fairen Umgang miteinander mit der klaren Ansage, dass wir als gewählte Gemeindevertreter nach allen Abwägungen der uns bekannten Fakten, immer nur das Beste für die Gemeinde wollen“. Auf Nachfrage ergänzt Ramerbergs Bürgermeister, seine Deutlichkeit sei sein „Markenzeichen“, die Anwürfe würden nachlassen.
Stand der Bauleitplanung
Auf dem 8,1 Quadratkilometer großen Gemeindegebiet laufen derzeit drei Bauvorhaben: das neue Gemeindehaus in der Ortsmitte, das Gewerbegebiet im Ortsteil Sendling an der B15 und die umstrittene Erweiterung des Sportplatzes Zellerreit. Letzteres zielt auf den Standortwechsel des Fußballplatzes an der Rotter Straße mit der gemeinsamen Infrastrukturnutzung der bestehenden Stockschieß- und Tennisanlagen an der Pfaffingerstraße. Eigenen Angaben zufolge möchte der gegenwärtig 472 Mitglieder umfassende „Sportverein Ramerberg 1952 e. V. (SVR)“ die „unzumutbare“ Situation bereits seit zehn Jahren lösen: Die Platz- und Parkverhältnisse, Umkleidekabinen und Sanitäranlagen entsprächen „schon lange nicht mehr den Erfordernissen“. Da die Umkleiden rund 150 Meter vom Sportplatz im Ortskern entfernt sind, stelle der Gang zum Trainingsgelände „ein großes Gefährdungspotenzial für unsere Schüler- und Jugendmannschaften“ dar. Vorstand Andreas Hohnen und 2. Vorstand Andreas Niedermaier klagen deshalb: „Es ist für uns völlig unverständlich, dass es Bürger gibt, die glauben, dass der SVR die Gemeinde spalten möchte. Eine Gemeinde lebt vom Zusammenhalt und von den zahlreichen, lebendigen Vereinen.“
Knapp acht Jahre nach dem Erstantrag des SVR auf Verlegung des Fußballplatzes hat der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 2. Dezember 2018 beschlossen, einen Bebauungsplan (B-Plan) für den Sportplatz Ramerberg aufzustellen, einen Entwurf hierfür gebilligt, die „frühzeitige Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung“ eingeleitet sowie den Flächennutzungsplan (FNP) für den künftigen Sportplatz in Zellerreit geändert. In seiner Sitzung vom 23. Januar 2019 konstatierte der Gemeinderat mit 12:0 Stimmen, es gebe weder Bedenken noch Anregungen bei der Aufstellung eines B-Plans für den künftigen Sportplatz Zellerreit und beim FNP im Bereich Zellerreit. Doch bevor dieser B-Plan rechtswirksam werden kann, müssen rund 200 neue Einwände aus der Öffentlichkeitsbeteiligung aufgenommen und Bedenken geschlichtet werden. „Eine ungewöhnliche Menge“, meint Gäch, deren Bearbeitung „viele Wochen“ dauern werde.
Der aktuelle Entwurf des B-Plans sieht für einen vier Hektar großen Sportplatz Zellerreit den Neubau eines Fußballplatzes mit drei Spielfeldern vor, zudem ein Gebäude mit Umkleiden, Toiletten und Duschen, aber ohne Gaststättengewerbe, plus zu den bestehenden 20 Stellplätzen weitere 60. Die Sportplätze sollen „großzügig eingegrünt“ werden und Ausgleichsflächen nördlich, südlich und westlich erhalten. Für die Stellplätze sind Baumpflanzungen vorgesehen. Die Zufahrtsstraße vom Sportplatz bis zur Straßenkreuzung Rotwandstraße/Paffingerstraße soll verbreitert werden.
Frühe Einwände gegen die Sportplatzverlegung
In den frühen Einlassungen zu diesem Bauvorhaben wird kaum in Zweifel gezogen, dass der SVR einen neuen Sportplatz braucht. Gestritten wird vielmehr um die anfallenden Kosten, speziell um die angespannte Finanzsituation der Kommune, und den avisierten Standort, insbesondere die Zufahrt dahin und das vermutete Verkehrsaufkommen. So wird moniert, Gutachten und Vorplanungen kosteten mit rund 43.000 Euro zu viel Geld. Dies versucht die Kommune mit Verweis auf ihre gemeindlichen Aufgaben aufzulösen, wonach sie nur für die Erschließung zuständig sei, der SVR wiederum das Bauvorhaben finanziere. Zuschussanträge, etwa an den Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV), könnten erst gestellt werden, wenn das Bauvorhaben genehmigt ist. Dem nächsten Einwand, am geplanten Standort in Zellereit-Unterfeld befinde sich ein Niedermoor und der Untergrund sei ungeeignet für das Projekt, wird das Ergebnis einer bodenkundlichen Untersuchung entgegengehalten. Danach wurden weder Torfe noch organische Böden gefunden. Abgetragen werden müssten lediglich 80 Zentimeter Humus. Die darunter befindliche Sandschicht sei dann „ein perfekter Boden für den Sportrasen“.
Bedenken, das angrenzende „Flora-Fauna Habitat (FFH)“ werde in Mitleidenschaft gezogen, begegnet die Gemeinde mit der Aussicht, die Entwässerung der Sportflächen werde ohne Drainage über den bestehenden Entwässerungsgraben und die Durchlässe erfolgen. Die an das FFH-Gebiet angrenzenden Flächen blieben entweder unberührt oder würden durch Ausgleichsflächen ökologisch aufgewertet. Die Rasenfläche werde lediglich mechanisch belüftet, gemäht und im Frühjahr „maßvoll“ mit Kunstdünger gedüngt. Die Skepsis gegenüber einer starken Beeinträchtigung der Tierwelt durch den Flutlichtbetrieb zerstreut die Gemeinde mit Hinweisen auf den Spielbetrieb bis maximal 21 Uhr, eine Beschränkung der Beleuchtung „auf das notwendigste Maß“ sowie den Einsatz von UV-armen Lampen, die Insekten kaum anlockten. Der Sorge, wegen des neuen Sportplatzes würden mehr Autos durch das seit Jahrzehnten verkehrsberuhigte, dicht bebaute Unterfeld fahren, was die dort lebenden Rentner, Familien und Kinder gefährde, entgegnet die Gemeinde, alternative Zufahrtsmöglichkeiten geprüft und mit Grundstückseigentümern gesprochen zu haben. Danach stünden die erforderlichen Grundstücke für eine neue Straße nicht zur Verfügung. Einem schalltechnischen Gutachten zufolge überschreite aber das höhere Verkehrsaufkommen im Wohngebiet – wahrscheinlich rund 20.000 Fahrten pro Jahr – keine Grenzwerte.
Bei Fragen nach alternativen Standorten, beispielsweise im Gewerbegebiet an der B15, verweist die Gemeinde einerseits auf den FNP, andererseits auf die Ablehnung von Grundstücksbesitzern, dafür Flächen entweder zu verkaufen oder auf 30 Jahre zu verpachten. Insgesamt handle Ramerberg umweltpolitisch verantwortlich, was bedeute, „eine Gemeinde so zu gestalten, dass die Menschen möglichst wenig ins Auto steigen müssen, um zur Arbeit oder zum Sport zu kommen“, sowie „mit Flächen verantwortungsbewusst umzugehen, indem sie bei Eingriffen durch entsprechende Bepflanzungen und andere Ausgleichsmaßnahmen aufgewertet werden“.
„Für ein liebens- und lebenswertes Ramerberg“
Unterdessen läuft die Debatte weiter. So erhitzten sich etwa online bei der „Wasserburger Stimme“ die Kommentatoren so sehr, dass sie Vokabeln wie „Spalter“, „Spaltpilze“ und „Lüge“ verwendeten. Zwar hatte Ramerbergs 3. Bürgermeisterin Petra Hölzle bereits in der November-Ausgabe des Gemeindeblattes „aus aktuellem Anlass“ um „Respekt vor den Leistungen und der Bedeutung der jeweils anderen“ ersucht, auch für den Gemeinderat. Denn gemeinsame Ziele könnten nur dann erreicht werden, „wenn wir unvoreingenommen, offen und ohne Unterstellungen aufeinander zugehen und miteinander umgehen“, so Hölzle. Doch die Gemeinde scheint den Widerstand der Anlieger unterschätzt zu haben.
Bis Ende April wird der neu gegründete Verein „Für ein liebens- und lebenswertes Ramerberg“ seine Arbeit aufgenommen haben. Seine Website wird die Einwände gegen die Sportplatzverlegung im Detail bündeln. Der Vorstand ist bereits gewählt: Ute Fischbach-Kirchgraber ist 1. Vorsitzende, Bernhard Oberdieck 2. Vorsitzender, Ingrid Gockner Schriftführerin und Tobias Czempinski Schatzmeister. Unter den etwa 120 frühen Unterstützern sollen rund 50 Beitrittswillige sein. Eine „Gesprächsrunde“ zwischen Grundstücksbesitzer, SVR und Anliegern soll am 25. April stattfinden.
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