Rosenheim / Rott a.Inn — Vorreiter in kommunaler Nachhaltigkeit, das ist Rott a.Inn für seinen Bürgermeister Daniel Wendrock: Die rund 4.100 Einwohner zählende Gemeinde im oberbayerischen Landkreis Rosenheim hat als erste ihrer Größenordnung einen Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt. Bislang haben in Bayern nur Großstädte wie München, Nürnberg und Augsburg solche Berichte erstellen lassen. Sie erfassen per Kenngrößen ihre ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit und nutzen die Ergebnisse als Grundlage für das strategische Nachhaltigkeitsmanagement. Ein Großteil des Rotter Berichts ist nach den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen gegliedert, den Sustainable Development Goals. Sie verdeutlichen, in welchen Bereichen die Gemeinde bereits gut dasteht und wo es noch Handlungsbedarf gibt. Einen noch größeren Nutzen hätten sie bei einer Vergleichbarkeit mit anderen Kommunen, betonen die Beteiligten.
„Mir war schnell klar, dass unsere Gemeinde hiermit eine Vorreiterrolle einnehmen wird, denn Nachhaltigkeitsberichte gibt es im kommunalen Bereich bislang fast ausschließlich für größere Städte“, erklärt der Rotter Erste Bürgermeister Daniel Wendrock (parteifrei). Der Nachhaltigkeitsbericht soll das Kernstück eines neuen Politik- und Verwaltungsansatzes sein, mit dem Rott a.Inn ökologisch, ökonomisch und sozial gestaltet werden kann. Den Anstoß dazu gab ein Buchprojekt über kommunale Nachhaltigkeitsberichterstattung von Prof. Dr. Andreas Fieber vom Campus Burghausen der Technischen Hochschule Rosenheim und dem Rotter Gemeinderat und Umweltreferenten Matthias Eggerl. Das Fallbeispiel Rott a.Inn soll zeigen, dass selbst kleine Landkreisgemeinden und Städte solche Berichte erstellen können. Darüber hinaus soll der Bericht in regelmäßigen Abständen fortgeschrieben werden.
Kommunen als Ort der „Transformation“
Ausgangspunkt ist die von der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 27. September 2015 beschlossene „Agenda 2030“. Sie formuliert globale Nachhaltigkeitsziele – Englisch: Sustainable Development Goals (SDGs) –, die bis 2030 erreicht werden sollen. Der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung hat als Steuerungsorgan der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie den Kommunen eine zentrale Rolle beim Erreichen der Ziele zugesprochen. Ein Beschlusspapier vom 14. Juni 2021 verdeutlicht, die Kommune sei jener „Ort, an dem die Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung konkret und erlebbar stattfindet und an dem sich gleichzeitig wie unter einem Brennglas Konsequenzen nicht-nachhaltiger Handlungen zeigen“. Gemeinden, Städte, Landkreise und höhere Kommunalverbände würden besondere Verantwortung bei den nötigen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Transformationsleistungen tragen, insbesondere für das Ziel der Klimaneutralität. Der Ausschuss empfiehlt etwa für den Bereich Digitalisierung und Smart Cities, Initiativen wie den Smart-City-Dialog sowie die Modellprojekte Smart Cities und Smarte.Land.Regionen auszubauen. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise sollten bedarfsgerechte Lösungen für die „Innenstädte und Ortskerne der Zukunft“ erarbeitet oder verbessert werden.
So zentral die Kommunen für eine nachhaltige Entwicklung sind, so zentral sind kommunale Nachhaltigkeitsberichte für das Überprüfen und Steuern der nachhaltigen Entwicklung. Die Berichte fußen auf sogenannten Nachhaltigkeitsindikatoren. Diese erfassen thematisch vielfältig die nachhaltige Entwicklung in Zahlen, machen sie quantifizierbar.
In Bayern soll das Zentrum für nachhaltige Kommunalentwicklung die zahlreichen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung bayerischer Kommunen praxisnah darstellen, konkrete Handlungsoptionen vorstellen und den Austausch zwischen den Kommunen unterstützen. Baden-Württemberg ist schon weiter: Die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) hat eine Datenbank über jene Kommunen erstellt, die einen Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt haben. Die Gesamtschau umfasst gegenwärtig knapp 100 Kommunen unterschiedlicher Größenordnungen und soll sowohl deren Engagement für nachhaltige Kommunalentwicklung sichtbar machen als auch Anreize schaffen, sich auszutauschen und neue Impulse zu setzen.
Nachhaltigkeit in Rott a.Inn
Der online unter www.rottinn.de abrufbare 136-seitige Rotter Nachhaltigkeitsbericht besteht aus zwei Teilen: Im ersten, individuellen Teil kommen verschiedene gemeindliche Akteure zu Wort und stellen kommunale Projekte vor. Im zweiten, indikatorengestützten Teil wird die Gemeinde entlang der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele und anhand von 78 Indikatoren beschrieben sowie mit Zielwerten belegt. Die Indikatoren reichen von der Mindestsicherungsquote und Obdachlosigkeit über die Luftqualität und Breitbandversorgung bis hin zu Partnerschaften und Aktivitäten mit Kommunen im In- und Ausland, insbesondere des globalen Südens.
Im Ergebnis zeigt sich nach den Worten von Gemeinderat Eggerl, „dass Rott bereits in vielen Bereichen Vorreiter ist, gleichzeitig aber noch ein großes Stück Arbeit vor sich hat.“ Herausgefordert sei die Gemeinde unter anderem durch den Rückstand beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und beim Angebot an bezahlbarem Wohnraum. Ergo: „Der Nachhaltigkeitsbericht sollte der Anstoß für ein noch engagierteres Handeln der Gemeinde bei diesen Punkten sein“, empfiehlt Eggerl.
Solche Berichte ermöglichen laut Professor Fieber den Vergleich zwischen den Kommunen und führen zu intensiveren Anstrengungen: „Mit dem von uns entwickelten und anhand des Rotter Nachhaltigkeitsberichtes in der Praxis erprobten Konzepts konnten wir zeigen, dass es auch für kleine Kommunen möglich ist, in die Nachhaltigkeitsberichterstattung einzusteigen.“ Daher appelliert Wendrock: „Andere Gemeinden fordere ich dazu auf, es uns gleich zu tun und ebenfalls Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen. Die Arbeit daran ist mehr als spannend und gewinnbringend.“
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