München — Outdoorsportarten sind hip. Mountainbiken ist trendy. Radfahren gilt als klimafreundlich, als Sportart mit hohem Erholungswert, als Must-have im naturnahen Tourismus. Radfahren in der freien Natur ist sogar verfassungsrechtlich garantiert. Und Stadtradeln verstärkt den Hype. Zugleich steigt der Erholungsdruck auf Natur und Landschaft. Die Konflikte zwischen den Erholungssuchenden nehmen zu. Damit rückt das sogenannte Betretungsrecht ins Blickfeld: Im Nachgang zum Volksbegehren „Artenvielfalt – Rettet die Bienen“ hat das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz jüngst zum Bayerischen Naturschutzgesetz eine Vollzugsbekanntmachung veröffentlicht, welche die geltenden Regelungen für die Erholung in der freien Natur präzisiert, insbesondere das Radfahren in Bayern. Obgleich Sportfach-, Radsport- und Tourismusverbände bereits beim Entwurf Einwände erhoben, sind diese aus ihrer Sicht in der veröffentlichten Fassung nicht angemessen berücksichtigt worden. Nun befürchten sie überzogene Einschränkungen.
Ein Federstrich für die Bayerische Staatsregierung, ein Fallstrick für die Sportfach-, Radsport- und Tourismusverbände: Mitten im „harten Lockdown“ hat das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) am 16. Dezember 2020 „überarbeitete Vollzugshinweise“ für das „Gesetz über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur (Bayerisches Naturschutzgesetz – BayNatSchG)“ erlassen.
Die Regelungen sollen den Behörden vor Ort ein Instrumentarium zur Bewältigung der mittlerweile gehäuft auftretenden Nutzungskonflikte an die Hand geben und dabei sowohl gefährdete Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten schützen, als auch den Interessen der Grundeigentümer gerecht werden.
So enthält die Vollzugsbekanntmachung Kriterien zum Beurteilen der Wegeeignung speziell für das Reiten und Fahrradfahren, dann Beschränkungen des Betretungsrechts für Flächen, die sich im Naturzustand befinden respektive landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich oder gärtnerisch kultiviert werden, außerdem Verhaltensregeln für Erholungsuchende sowie Ausführungen zum Fahren mit Fahrzeugen ohne Motorkraft. Das sind in erster Linie Fahrräder, darunter auch solche mit einer elektrischen Trethilfe wie E-Bikes und Pedelecs, aber auch Roller und Pferdegespanne.
Im Alpenraum werden besonders strenge Maßstäbe an die Geeignetheit von Wegen mit starker Steigung oder geringer Breite gestellt – bei unbefestigten Wegen, die über Almweiden führen, kann die Eignung sogar auf bestimmte Tageszeiten beschränkt werden.
Gegenseitige Rücksichtnahme
Die Beschränkungen des Betretungsrechts werden begründet mit der im Bayerischen Naturschutzgesetz konkretisierten „Gemeinverträglichkeit“. Danach darf ein Recht nur in der Weise ausgeübt werden, dass die Rechtsausübung anderer nicht verhindert oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar beeinträchtigt wird. So sind beispielsweise übermäßiger Lärm, Verunreinigung der Natur oder das Ausüben gefährlicher Sportarten unzulässig. Überdies wird Fußgängern Vorrang vor Nutzern von Fahrzeugen und Krankenfahrstühlen sowie Reitern eingeräumt. Diese Verhaltensregel für Erholungsuchende ist zugleich ein Fingerzeig, dass das Betretungsrecht dort seine Grenze findet, wo die Rechte des Eigentümers mehr als zumutbar beeinträchtigt werden.
Insgesamt bedeuten die Vollzugshinweise keine Änderung des BayNatSchG. Sie helfen vielmehr den unteren und höheren Naturschutzbehörden sowie den Grundeigentümern beim Bestimmen der Wegeeignung. Lockert etwa das Befahren eines Weges die Bodenoberfläche und steigt damit das Risiko von Bodenabtrag und Bodenerosion, so ist der Weg regelmäßig für das Befahren mit Fahrrädern oder anderen Fahrzeugen ohne Motorkraft ungeeignet. Dabei müssen Wegesperrungen eindeutig ausgeschildert sein. Das BayNatSchG sieht bei Verstößen Geldbußen vor, bei Ordnungswidrigkeiten die Beschlagnahmung der verwendeten Gegenstände, etwa das Einziehen des Mountainbikes.
Künftig wohl mehr Wegesperrungen
Radsport- und Tourismusverbände sind besorgt, dass sich die Beschränkungen auf nahezu jeden Weg übertragen lassen und mehr Sperrungen oder Verwarnungen drohen, insbesondere im Alpenraum. Verbotsschilder oder Verwarnungen müssten dann notfalls auf dem Klagewege ausgeräumt werden. Deshalb wenden sich sowohl die Radsportverbände „Bund Deutscher Radfahrer e. V. (BDR)“, „Bayerischer Radsportverband e. V. (BRV)“, „Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V. (ADFC)“ und „Deutsche Initiative Mountainbike e. V. (DIMB)“ dagegen als auch die Tourismusverbände „Tourismusverband Allgäu/Bayerisch-Schwaben e. V. im Regierungsbezirk Schwaben (Bayern)“, „Tourismusverband Franken e. V.“, „Tourismus Oberbayern München e. V. (TOM)“ und „Tourismusverband Ostbayern e. V.“.
Aus ihrer Sicht bergen die Vollzugshinweise für Radfahrer eine Vielzahl unverhältnismäßiger und rechtlich problematischer Einschränkungen sowie ein vermeidbares Konfliktpotenzial zwischen den Nutzergruppen. Ihr Appell: Die Erholung in der freien Natur muss allen Interessengruppen gleichermaßen zugutekommen. Einseitige Betretungsverbote für Radfahrer und alle Maßnahmen, die ein solches förderten, lehnen die Verbände ab.
Der Deutsche Alpenverein e. V. (DAV) übt als verantwortlicher Wegehalter im alpinen Raum insbesondere Kritik an der Konkretisierung der Wegeeignung, der Gefährdung als Grund von Sperren, der Gemeinverträglichkeit, dem Verfahrensweg zum Aufstellen von Sperrschildern und dem Hinweis auf Ungeeignetheit des Weges durch Schilder. Die Verbände stimmen sich derzeit über das weitere Vorgehen ab.
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