Rosenheim – Keine falsche Scham bei Cyberkriminalität: „Rufen Sie den Polizeinotruf 110 an!“, appelliert Polizeirat Johann Brumbauer von der Polizeiinspektion Rosenheim. Und Kriminaloberkommissarin Veronika Reitschuh betont: „Sie werden nie abgewiesen!“ Die Polizeiliche Kriminalstatistik Bayern 2017 dokumentiert: Seit 2014 steigt die Zahl der erfassten Delikte, bei denen zur „Tatbestandsverwirklichung“ das Internet als „Tatmittel“ verwendet wurde. Allein von 2016 bis 2017 nahm die Zahl um 961 Delikte (+3,9 Prozent) zu auf insgesamt 25.832 Fälle. Zwar konnte im Freistaat fast jede zweite Cyberstraftat (47,8 Prozent) aufgeklärt werden. Doch die Täter verhalten sich immer raffinierter und dreister. Eindringlich warnt deshalb Simone Oberholz von der Verbraucherzentrale Bayern, Beratungsstelle Rosenheim: „Die Gefahr wächst ständig.“ Zunehmend problematisch: Identitätsdiebstahl. Präziser: die missbräuchliche Nutzung personenbezogener Daten einer natürlichen Person durch Dritte. „Für Betroffene bleibt häufig unklar, wie die Täter an ihre digitalen Identitäten gelangt sind und in welchem Umfang diese nun genutzt oder weitergegeben werden“, so Oberholz. Doch Polizei wie Verbraucherzentrale bieten Unterstützung zur Prävention, auch Hilfe im Ernstfall. Wenige Maßnahmen helfen bereits.
Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung stellen Unternehmen, Behörden, Gesellschaften und Privatpersonen vor steigende Herausforderungen: Allein die verstärkte Nutzung digitaler Dienste generiert immer mehr sensible Daten. Das weckt Begehrlichkeiten. Beim Anlegen und Austausch personenbezogener Daten treten zudem Datenlecks auf. Identitätsdiebstahl und Datenmissbrauch nehmen zu, werden für jeden zum Problem. So wurden im ersten Halbjahr 2018 laut „Breach Level Index“ von Gemalto täglich mehr als 25 Millionen Datensätze gefährdet oder kompromittiert.
An der Spitze aller Datenlecks steht der Identitätsdiebstahl, besagt der Jahresbericht 2018 der „European Union Agency for Network and Information Security (ENISA)“. Dabei verwenden Cyberkriminelle die digitale Identität ihrer Opfer etwa zum Spam-Versand, für gefälschte Accounts, Kreditkartenmissbrauch, Warenkreditbetrug, Online-Banking und Fake-Shop-Eröffnungen. Laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zum Thema Cybersecurity ist bereits 2016 jeder dritte Bundesbürger Opfer von Identitätsdiebstahl im Internet geworden. Drei von zehn Betroffenen haben dadurch einen finanziellen Schaden erlitten, im Durchschnitt in Höhe von 1.366 Euro. Doch nicht alle werden durch Schaden klug: Nur jeder dritte Betroffene achtet nach dem erlittenen Identitätsdiebstahl stärker auf Sicherheitsvorkehrungen.
Den Anstieg der Cyberdelikte registrieren auch die regionalen Polizeidienststellen und die Verbraucherzentralen. Die „Deliktsstruktur Cyberkriminalität (Tatmittel Internet)“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für den Freistaat Bayern weist für 2017 insgesamt 25.832 Fälle aus, die in fünf Kategorien sortiert werden: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (765 Fälle/3,0 Prozent), Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit (426/1,6 Prozent), Vermögens- und Fälschungsdelikte (19.934/77,2 Prozent), Strafrechtliche Nebengesetze (872/3,2 Prozent) sowie sonstige Straftatbestände nach dem Strafgesetzbuch (3.835/14,8 Prozent). Laut PKS hatten 81 Prozent der Tatverdächtigen die deutsche Staatsangehörigkeit, 19 Prozent waren Nichtdeutsche, darunter 2,9 Prozent Zuwanderer. Allein in Rosenheim wurden 107 Strafanzeigen gestellt.
Tipps der Verbraucherzentrale
Die Verbraucherzentrale Bayern ist mit ihren 16 Beratungsstellen und 40 Energiestützpunkten Anlaufstelle für verzwickte Fragen zu Verbraucherrecht, Altersvorsorge, Geldanlage, Versicherungen, Ernährung, Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit. 2017 galt bereits jede dritte Anfrage in der Beratungsstelle Rosenheim einem Problem im digitalen Konsumalltag. Verbraucherschützerin Simone Oberholz kennt verstörende Fälle: etwa Online-Shopping mit fremden Kreditkartendaten, dubiose Abbuchungen über die Mobilfunkrechnung sowie Vertragsabschlüsse im Namen ahnungsloser Verbraucher, darunter Abbuchungen und Forderungen für Warensendungen, Dating-Portale, Flixbus-Fahrten und Eröffnung von iCloud-Konten. Um sich gegen Identitätsdiebstahl zu wehren, rät die Juristin: Vorsicht bei Abfragen sensibler Daten wie Passwörter, PINs, Bankverbindungen oder Kreditkartennummern.
Die Verbraucherzentralen dokumentieren überdies kontinuierlich aktuelle Betrügereien, die ihnen online über den „Phishing-Radar“ gemeldet werden. Der „Kryptonizer“ der Verbraucherzentrale hilft zudem beim Erstellen und Merken „sicherer“ Passworte. Dabei verweist Oberholz auch auf die Online-Tipps vom „Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)“. Ihr Rat im Schadensfall: „Handeln Sie schnell, zeigen Sie keine falsche Scham, stellen Sie auf jeden Fall Strafanzeige bei der Polizei!“
Tipps der Polizei
Obgleich das Strafgesetzbuch (StGB) keinen speziell als „Identitätsdiebstahl“ bezeichneten Straftatbestand kennt, kann durch dieses Delikt dennoch eine Vielzahl unterschiedlicher Straftatbestände verwirklicht sein: bei Computerkriminalität die § 202a bis c StGB, bei Computerbetrug die § 263a StGB und 229 StGB. Darauf verweist Polizeirat Johann Brumbauer, wenn er Opfer auffordert, sich im Schadensfall rasch an die Polizei zu wenden und Strafanzeige zu erstatten. Kriminaloberkommissarin Veronika Reitschuh veranschaulicht, dass bei Anwahl des Polizeinotrufes 110 entweder schon am Telefon schnell Hilfe geleistet werden kann oder gegebenenfalls ein Spezialistenteam kommt. „Wir sind auch auf die Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen“, erklärt Brumbauer. Nur wer sich melde, helfe, eine Gefahrenlage einzuschätzen und zu entschärfen.
Zur Prävention empfehlen Brumbauer wie Reitschuh: Antivirenprogramme installieren und aktuell halten, Smartphones softwareseitig absichern, ungeschütztes Surfen in unbekannten drahtlosen lokalen Netzwerken (WLAN) vermeiden, verschiedene starke Passworte einsetzen, Kontobewegungen regelmäßig prüfen, dubiose E-Mails weder beantworten noch deren Anhänge öffnen. Im Schadensfall gelte: Besonnen bleiben, eventuelle E-Mails aufbewahren, Polizei kontaktieren, Strafanzeige erstatten, bei Warenkreditbetrug Bank und Händler informieren, betroffene Karten und Konten sperren, Einspruch erheben und Strafanzeige als Beleg übermitteln. Grundsätzlich sollte jeder nach Brumbauer, Reitschuh und Oberholz ein gutes Maß an Misstrauen bewahren.
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