In Wasserburg am Inn schlagen die Wellen hoch: Altstadtbewohner wollen „aus Angst um unsere Kinder“ die verkehrsberuhigte Hofstatt für den Autoverkehr an Wochenenden gesperrt wissen – der Wirtschaftsförderungsverband (WFV) hingegen befürchtet dadurch eine „Katastrophe für unsere Geschäfte“. Der Forderung nach Wochenendsperrung Ausdruck verleihend haben die Anwohner dem Stadtrat in der Bürgersprechstunde 459 Unterschriften überreicht. Bürgermeister Michael Kölbl (SPD) stellte daraufhin den Test einer Teilsperrung in Aussicht. Davor warnt der WFV in einem Offenen Brief an Bürgermeister und Stadtrat ausdrücklich – und sammelt nun seinerseits Unterschriften: „für die uneingeschränkte Zufahrt in der Altstadt 24 Stunden, sieben Tage in der Woche“.
In der Bürgersprechstunde veranschaulichten Altstadtbewohner den Kommunalpolitikern die aktuelle Situation in der Hofstatt mit großformatigen Fotos. Anwohnerin Bettina Knopp nannte parkende und durchfahrende Autos, die sich nicht an die Schrittgeschwindigkeit hielten, einen „Störfaktor“. Eine zugeparkte Altstadt sei auch für Spaziergänger und Touristen „nicht schön“. In die Planungen zur Wochenendsperrung sollten die Geschäftsleute durchaus einbezogen werden. Die für eine Fußgängerzone erforderliche Frequenz bliebe wegen der Wochenendmärkte und der Backstube gleichwohl gegeben.
Die Altstadt ab der Hofstatt an Samstagen von 9 Uhr an und sonntags komplett zu sperren, das ist für den Wirtschaftsförderungsverband Wasserburg grundsätzlich inakzeptabel. Dadurch könnten die Geschäfte von der Hofstatt über die Färber- und Schustergasse bis hin zur Herrengasse während der Hauptgeschäftszeiten nicht mehr angefahren werden, erklären die WFV-Vorstände Moritz Hasselt, Inhaber und Geschäftsführer der Firma InnTime, und Christian Huber, Inhaber der Online-Zeitung „Wasserburger Stimme“. Dass die Lenkungsgruppe des Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (ISEK) versuchsweise eine Sperrung samstags ab 14 Uhr erwäge, ist für den WFV nur der erste Schritt, die geltenden Regelungen aufzuweichen. Ihrer Ansicht nach brauchen die Geschäfte schlicht die derzeitige Fluktuation in der Altstadt: „Da muss sich was bewegen, sonst ist die Wasserburger Innenstadt tot.“ Die Sperrung der Hofstatt käme einer Sperrung der gesamten Altstadt gleich. Könne man nicht mehr durch die Färbergasse fahren, „kann man sie auch gleich wie im Mittelalter vorne und hinten zumauern“, so der WFV.
Vielstimmigkeit online
Auf wasserburger-stimme.de sind die Reaktionen auf die Debatte durchwachsen. Angeführt wird etwa, dass Städte mit „slow-city-flair“ wirtschaftlich florierten, beispielsweise Rosenheim mit dem Max-Josefs-Platz. In Wasserburgs Altstadt seien die Gehwege kurz, jede Einkaufsmöglichkeit fußläufig in fünf Minuten von den Parkhäusern und den Parkplätzen am Gries aus erreichbar. In der verkehrsberuhigten Salzsenderzeile habe sich bereits ein schwerer Unfall mit einem Kind ereignet. Eine Sperrung sei für Ältere oder Kranke hinderlich, zumal Personen mit Rollator oder Rollstuhl schwerlich über das Kopfsteinpflaster kämen. Auch Kinder müssten sich in verkehrsberuhigten Zonen an die Verkehrsregeln halten. Das Missachten der bestehenden Verkehrsberuhigung sei zu sanktionieren, Falschparken soll geahndet werden. Autoposer und fußfaule Autofahrer verhielten sich rücksichtslos. Die Gefahr ginge von gehetzten „Pakerlfahrern“ aus. Fußgängerzonen in Mittelstädten könnten zu Leerständen führen. Wasserburg mit Rosenheim und München zu vergleichen sei in Kenntnis der Lage unangemessen. Die Befürworter einer Sperrung wären Auswärtige und „Zuagroaste“. Unterschriftsberechtigt sein sollten nur die betroffenen Altstadtbewohner.
Für Fußgängerzone zu klein
Wie einige Kommentatoren online so sind auch Hasselt und Huber überzeugt, Wasserburgs Altstadt sei „viel zu klein“ für eine Fußgängerzone. Dass das Umland „schnell und unkompliziert“ in der Altstadt einkaufen könnte, sei „die Stärke“ der Stadt. Eine Sperrung der Altstadt kommt indessen für beide einer Schließung zahlreicher Geschäfte gleich. Wegen des Einwandes der Anwohner, parkende Autos machten die Situation für Kinder und ältere Menschen gefährlich, fordern die WFV-Vorsitzenden die Stadt deshalb auf, „die geltenden Verkehrsregelungen (Spielstraße, Schritttempo, Vorrang für Fußgänger) endlich umzusetzen und zu überwachen“. Dafür hat der WFV nun seinerseits eine Unterschriftenaktion gestartet: Bis zum 23. Juli soll die Zahl der Anwohner-Unterschriften „um ein Vielfaches“ übertroffen werden. Dazu ist die Liste online unter wfv-wasserburg.de herunterladbar und liegt sowohl im WFV-Büro als auch in zahlreichen Geschäften aus, wo die Kunden „über die für uns und sie negativen Maßnahmen der Stadt“ aufmerksam gemacht werden sollen. Die Unterschriften der Altstadtbewohner waren noch informell gesammelt worden.
Dr. Olaf Konstantin Krueger
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