München / Rosenheim — Das Ahnden wesentlicher Verstöße gegen die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung hat dem Landkreis Rosenheim von Ende März 2020 bis Ende August 2021 rund 1,13 Millionen Euro an Bußgeldern eingebracht. In 17 Monaten wurden über 3.500 Bußgeldbescheide erlassen. Dies hat eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Andreas Winhart (AfD), Rosenheimer Kreisrat und Stadtrat in Bad Aibling, an das Landratsamt Mitte September 2021 ergeben. Winhart wirft dem Landratsamt deshalb „Abzocke von Bürgern“ vor. Die Verfahren würden „gnadenlos und mit voller Härte vollzogen“. Rosenheims Landrat Otto Lederer (CSU) hält dagegen, die Regel- und Rahmensätze seien im Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege festgeschrieben, so beschlossen vom Bayerischen Landtag.
Die Corona-Maßnahmen des Bundes und der Landesregierungen sollen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus’ (SARS-CoV-2) eindämmen. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) stützt sich hierbei auf besondere Rechtsgrundlagen: einerseits auf Rechtsverordnungen wie die „Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV)“, die „Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV)“ und die „Verordnung zur Erweiterung der Meldepflicht auf Schutzimpfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impf-Meldeverordnung – ImpfMeldV)“, andererseits auf diverse Allgemeinverfügungen und Bekanntmachungen, darunter Richtlinien, Handlungsempfehlungen, Hygienekonzepte und Bußgeldkataloge.
Bei wesentlichen Verstößen gegen die BayIfSMV sind die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden gehalten, den Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ beziehungsweise den Bußgeldkatalog „Coronavirus-Einreiseverordnung – CoronaEinreiseV und Allgemeinverfügung Testnachweis“ des StMGP anzuwenden. Beide Verwaltungsvorschriften benennen für bestimmte Ordnungswidrigkeiten konkrete Bußgeldhöhen. Deren Spannweite reicht aktuell bei ersterem Katalog von 250 Euro wegen Verstoßes etwa gegen die Maskenpflicht bis hin zu 5.000 Euro wegen Verstoßes beispielsweise gegen die Kontrolle der Maskenpflicht, bei letzterem Katalog von 250 Euro wegen Verstoßes etwa gegen die Pflicht zum Vorlegen eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweises bei der Einreise bis hin zu 10.000 Euro wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Kontrolle eines solchen Nachweises bei Einreise aus einem Virusvariantengebiet.
Fokus: Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“
Die aktuelle Fassung des Bußgeldkatalogs „Corona-Pandemie“ vom 3. September 2021 (Az. G51z-G8000-2021/505-223), die online abrufbar ist via www.verkuendung-bayern.de, ist im Vergleich zur Vorfassung reduziert. Dennoch drohen derzeit unter anderem:
- 250 Euro Bußgeld bei Verstößen gegen die Maskenpflicht, bei Angabe falscher Kontaktdaten oder bei Alkoholkonsum in bestimmten Örtlichkeiten,
- 500 Euro Bußgeld bei Teilnahme an einer Versammlung oder bei einer Feier auf öffentlichen Plätzen und Anlagen,
- 1.000 Euro Bußgeld wegen des Nichterhebens von Kontaktdaten sowie
- 5.000 Euro Bußgeld für Veranstalter oder Inhaber von Betrieben oder Einrichtungen, die entgegen dem BayIfSMV nicht sicherstellen, dass der Gast, Besucher oder Nutzer einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis vorlegt, oder bei Nichterstellen eines Infektionsschutzkonzepts oder bei Durchführung einer öffentlichen Festivität, eines Volksfestes oder einer Versammlung in geschlossenen Räumen oder beim Betrieb von Einrichtungen wie Bordellen, Clubs, Diskotheken und vergleichbaren Freizeiteinrichtungen.
Die vorangegangene Fassung des Bußgeldkatalogs vom 24. Juni 2021 (Az. G51z-G8000-2021/505-80) enthielt weitere Ordnungswidrigkeiten, beispielsweise:
- 250 Euro Bußgeld bei Verstößen gegen die (FFP2-)Maskenpflicht oder bei Angabe falscher Kontaktdaten oder beim Aufenthalt im öffentlichen Raum, in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken mit anderen als den zugelassenen Personen oder beim Verzehr von Speisen oder Getränken in Gastronomiebetrieben oder beim Nutzen von Sportstätten, Fitnessstudios und Tanzschulen,
- 1.000 Euro Bußgeld für Betreiber von Dienstleistungs-, Gastronomie- und Beherbergungsbetrieben ohne Erhebung der Kontaktdaten der Kunden,
- 5.000 Euro Bußgeld bei Durchführung einer Veranstaltung oder Versammlung, der Öffnung von Groß-, Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben mit Kundenverkehr entgegen der Vorgaben des BayIfSMV oder für Betreiber, welche die AHA-L-Regeln nicht sicherstellen, sowie
- 25.000 Euro Bußgeld für Betreiber betrieblicher Unterkünfte, die angeordnete Schutz- und Hygienemaßnahmen nicht einhalten, ihre Nichteinhaltung durch die Beschäftigten dulden oder den Pflichten zur Überprüfung oder Dokumentation nicht nachkommen.
Die frühere Fassung vom 17. März 2021 (Az. G51z-G8000-2021/505-25) listet zusätzliche Ordnungswidrigkeiten wie:
- 500 Euro Bußgeld beim Aufenthalt außerhalb einer Wohnung,
- 1.000 Euro Bußgeld für Betreiber von Ladengeschäften und Beherbergungsbetrieben, die nicht sicherstellen, dass der Zutritt für Kunden nur nach vorheriger Terminreservierung gestattet wird und keine Kontaktdaten der Kunden erheben oder für „Erziehungsberechtigte, die wiederholt und beharrlich nicht dafür sorgen, dass der Maskenpflicht nachgekommen wird“, sowie
- 5.000 Euro Bußgeld bei Durchführung einer unerlaubten Veranstaltung oder bei Versammlung oder Betrieb von Sportstätten, Fitnessstudios und Tanzschulen oder bei Durchführung von touristischen Führungen oder bei Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr beziehungsweise Abholdiensten sowie gegen Betreiber zulässigerweise geöffneter Betriebe, die nicht sicherstellen, dass grundsätzlich der vorgeschriebene Mindestabstand eingehalten werden kann, die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als gestattet, das Personal seiner Maskenpflicht nachkommt oder ein Schutz- und Hygienekonzept fehlt.
Den Bußgeldkatalogen zufolge können die Regel- und Rahmensätze allerdings den Umständen des Einzelfalls entsprechend erhöht oder ermäßigt werden. So kann eine Ermäßigung unter anderem in Betracht kommen, wenn „die Gefahr einer potenziellen Infizierung anderer Personen nach den Umständen des Einzelfalls gering ist“, „der Täter Einsicht zeigt, sodass Wiederholungen nicht zu befürchten sind“, die vorgeschriebene Geldbuße „zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung führt“ oder der Betroffene noch minderjährig ist.
Bußgeldverfahren des Landratsamtes Rosenheim
Das Landratsamt Rosenheim hat nach Angaben von Oliver Winter, Leiter des Büros von Landrat Otto Lederer (CSU), im Zeitraum von Ende März 2020 bis Ende August 2021 insgesamt 3.562 Bußgeldbescheide erlassen. Die festgesetzten Bußgelder beliefen sich einschließlich Gebühren und Auslagen auf 1.130.210,75 Euro. Sämtliche Bußgeldverfahren wurden aufgrund von Anzeigen der Polizei oder der Bundespolizei durchgeführt. Die aus 16 Mitarbeitern bestehende „Gruppe 611 – Verbraucherschutz“ des Landratsamtes hat insgesamt 4.353 Anzeigen bearbeitet. Dienstaufsichtsbeschwerden gab es keine.
Mit Stand vom 13. September waren rund 350 Anzeigen unbearbeitet. Diese schlüsseln sich laut Winter auf in: fünf Anzeigen wegen Verstoßes gegen Kontaktbeschränkungen, vier Anzeigen wegen Verstoßes gegen die Maskenpflicht, vier Anzeigen wegen Quarantäneverstoßes, sechs Anzeigen wegen Verstoßes gegen die Einreise-Quarantäneverordnung, eine Anzeige wegen des Verstoßes eines Betriebes gegen infektionsschutzrechtliche Beschränkungen und etwa 330 Anzeigen wegen Verstoßes gegen die Coronavirus-Einreiseverordnung. Insgesamt 599 Verfahren sind eingestellt worden. Winter beantwortet damit eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Andreas Winhart (AfD).
Zweifel an Verhältnismäßigkeit
In seiner Bewertung kritisiert Winhart sowohl die Höhe der Bußgelder als auch die Menge an Bescheiden. Des Weiteren wären Personen aufgrund falscher Verdächtigungen angezeigt worden und Kritiker der Corona-Maßnahmen besonders betroffen: Obschon auf ihren Versammlungen kein Polizist einschritte, erhielten sie dennoch Wochen später Bußgeldbescheide des Landratsamts. „Der Landrat muss hier sofort eingreifen und das Handeln von Corona-Hysterikern und Bürgerabzockern im Landratsamt unterbinden“, so Winhart.
Landrat Lederer verwahrt sich gegen die Anwürfe und entgegnet, der Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ konkretisiere die Ordnungswidrigkeiten durch Verstöße gegen die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, welche der Bayerische Landtag beschlossen habe. Danach sind die Kreisverwaltungsbehörden für die Verfolgung und Ahndung sachlich zuständig, was ein bayerischer Abgeordneter eigentlich wissen müsste.
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