Kontaktverfolgung per Smartphone: „Corona-Warn-App“ ante portas
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Kontaktverfolgung per Smartphone: „Corona-Warn-App“ ante portas

Berlin – Die Lockerungen der wochenlangen flächendeckenden Einschränkungen könnten zu einem erneuten Anstieg der Corona-Infektionen führen. Das befürchten das Robert Koch-Institut (RKI), der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BVÖGD) und der Deutsche Landkreistag e. V. (DLT). Der Grund: Mit nachlassendem „social distancing“ können Erkrankte wieder mit einer Vielzahl an Personen in Kontakt kommen. Damit dann der Ursprung neuer Infektionen geklärt werden kann, setzen Politik und Behörden auf die „Kontaktpersonennachverfolgung“ per Smartphone-App. Weltweit haben bereits über 30 der 195 Staaten eine solche Tracking- oder Tracing-App eingeführt, darunter Frankreich, Österreich, Tschechien, Lettland, Island, Norwegen und Australien. Mitte Juni soll Deutschland mit einer eigenen „Corona-Warn-App“ nachziehen. Die dazu nötige Schnittstelle zur COVID-19-Kontaktverfolgung haben Google (Android) und Apple (iOS) bereits per Update „ausgerollt“.

Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) bleibt deutschlandweit auf vergleichsweise niedrigem Niveau: Die Gesundheitsämter melden dem RKI derzeit täglich rund zweihundert Fälle. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise lag die Zahl am 2. April bei 6.561 COVID-19-Fällen. Die Zahl der Corona-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung ist ebenfalls rückläufig. Aktuell werden laut dem DIVI-Intensivregister unter 700 an COVID-19 erkrankte Menschen auf Intensivstationen betreut, etwa die Hälfte von ihnen wird beatmet. Mitte April waren es zeitweise knapp 3.000 Patienten. Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, liegt nach RKI-Angaben unter der kritischen Marke von 1,0: Ein Infizierter steckt im Mittel weniger als eine weitere Person an. Insgesamt haben sich seit Anfang März bundesweit knapp 183.000 Menschen mit SARS-CoV-2 angesteckt, 8.551 starben (Stand: 3. Juni).

Analog zum Rückgang der Neuinfektionen schwindet die Angst vor Ansteckung: Laut einer Umfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach (IfD Allensbach) fürchteten im April noch 44 Prozent der Befragten, sich mit dem Erreger der Lungenkrankheit zu infizieren, im Mai sagten dies nur 31 Prozent. Derzeit ist die Lage „entspannt“, befindet Dr. Markus Mempel vom DLT. Stiegen die Infektionszahlen jedoch infolge der Lockerungen punktuell oder im Zuge einer zweiten Welle in der Fläche deutlich an, kämen Behörden und Gesundheitsdienste schnell an ihre Belastungsgrenze, warnt Dr. Ute Teichert, Bundesvorsitzende des BVÖGD.

Wichtig bleibt deshalb aus Sicht dieser Experten, Infektionsketten nachzuvollziehen und zu unterbrechen: Mit SARS-CoV-2 infizierte Personen müssen identifiziert und isoliert werden, damit die Verbreitung des Coronavirus eingedämmt wird. Doch gerade in Ballungsräumen ist dies eine Herausforderung. Mempel befürwortet darum die Nutzung einer Tracing-App auf den Mobiltelefonen. Er begrüßt die Anwendung als „Arbeitserleichterung in den Gesundheitsämtern“, denn das Programm warnt, wenn Kontakt zu einer infizierten Person bestand. Das Prinzip: Die App sendet anonymisiert Kurzzeit-Identifikationsnummern via Bluetooth-Technologie aus und registriert andere Mobiltelefone mit der gleichen Tracing-App, die näher als etwa anderthalb Meter kommen. Sobald ein Nutzer seine bestätigte COVID-19-Infektion via App meldet, werden diejenigen darüber informiert, deren Smartphones den Schlüssel in der Vergangenheit empfangen haben. Datenschützer bevorzugen ein dezentrales Verfahren, bei dem der Datenabgleich nur auf dem Smartphone stattfindet, indem dafür regelmäßig Listen der Schlüssel von Infizierten heruntergeladen werden.

Entwicklung und Einsatz der Tracing-App

Im Verlauf der Corona-Krise sind verschiedene Tracing-Apps zum Aufspüren infektionsträchtiger Begegnungssituationen entwickelt worden. Beispielsweise werden in Frankreich die Kontakte über die App „StopCovid“ erfasst, in Österreich mittels „Stopp Corona“ vom Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK), in Tschechien unter anderem via „eRouška“ (eSchutzmaske), in Norwegen mittels „Smittestopp“, in Lettland durch „Apturi Covid“ (Stop Covid), in Island über die quelloffene App „Rakning C-19“ und in Australien über „COVIDSafe“ vom Department of Health. In Frankreich werden die Daten zu einem zentralen Server übertragen, ein Verfahren, gegen welches datenschutzrechtliche Vorbehalte geäußert werden: Detaillierte Abbilder des sozialen Umfelds der Nutzer könnten entstehen, die Daten missbraucht und die Server gehackt werden, Polizeibehörden und Geheimdienste könnten Interesse daran zeigen. Nirgends jedoch erreicht die jeweilige Tracing-App jene von der Universität Oxford empfohlenen 60 Prozent der Bevölkerung, die nötig wären, um vollständig wirksam zu sein.

In Deutschland steht die Einführung einer „Corona-Warn-App“ seit März im Raum. Die Tochtergesellschaft T-Systems der Deutschen Telekom und das Unternehmen SAP AG haben das technische Konzept für die Bundesregierung entwickelt. Über Pfingsten veröffentlichten die Entwickler den gesamten Quellcode auf der Plattform GitHub. Über 65.000 freiwillige Software-Experten sollen sich in das Open-Source-Projekt eingebracht haben. Die Tracing-App wertet weder persönliche noch geografische oder sonstige Standortdaten aus. Die anonymisierten Kontaktdaten werden dezentral auf dem jeweiligen Smartphone abgelegt. Zur Identifikation problematischer Begegnungen wird die anonymisierte Liste allerdings zentral gespeichert und von den Smartphones regelmäßig abgerufen. Mit der App lässt sich zudem ein QR-Code vom Arzt oder Labor scannen, um das Resultat eines COVID-19-Tests übermittelt zu bekommen und anzuzeigen. Die erste Version der „Corona-Warn-App“ soll auf Deutsch und Englisch verfügbar sein, Türkisch soll folgen. Die Benutzung der App ist freiwillig. Und: „Interoperabilität ist ein wichtiger Aspekt der Anwendung“, erklärt das Bundesministerium für Gesundheit auf Nachfrage. „Das heißt, auch andere europäische Tracing-Apps sollen mit der deutschen Anwendung kompatibel sein.“ Mehr Information ist online abrufbar unter coronawarn.app.

Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. (BDI), kritisiert die zur Entwicklung benötigte Zeitspanne. Der Datenschutz wäre über den Infektionsschutz gestellt worden: „Wenn wir künftig mehr und besser mit Digitalisierung arbeiten wollen, dann wird das nur gehen, wenn wir Datenschutz pragmatischer und sinnvoller definieren“, meint der frühere Bitkom-Präsident. Demgegenüber verweist Prof. Dr. Helge Braun (CDU), Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben, auf den Zeitraum, den Google und Apple zur Bereitstellung der technischen Schnittstellen brauchten. Die „Corona-Warn-App“ soll nun zeitgleich mit der Grenzöffnung zu den europäischen Nachbarn Mitte Juni zur Verfügung stehen und EU-weit einsetzbar sein. „Die Leute sind ja mobil“, erläutert Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat im Kabinett Merkel IV. Und selbst bei vergleichsweise wenigen Nutzern soll die „Corona-Warn-App“ nach Einschätzung der Bundesregierung noch sinnvoll sein.

Benachrichtigung bei Begegnung mit Infizierten

Google liefert das Update automatisch über die Google Play Services aus – an alle Smartphones ab Android 6. Die Tracing-Funktion ist einsehbar in den Google-Einstellungen unter dem Menüpunkt „Benachrichtigungen zu möglicher Begegnung mit COVID-19-Infizierten“. Um die Funktion verwenden zu können, müssen noch die Tracing-App heruntergeladen sowie Bluetooth und Standortermittlung aktiviert werden. Apple wiederum installiert das „COVID-19-Kontaktprotokoll“ über das Update auf iOS 13.5, wobei das Protokoll erst aktiviert werden kann, wenn eine autorisierte Anwendung wie die „Corona-Warn-App“ installiert wird. Die Schnittstellen sollen nur während einer Pandemie aktiv sein.

Indes wird der Disput über die technische Umsetzung der Kontaktverfolgung begleitet von einer Debatte über das ausgewogene Verhältnis zwischen der Bewältigung der Pandemie und dem Schutz der Daten. Dies fußt auf der hohen Relevanz des Datenschutzes, wie sie die aktuelle „Postbank Digitalstudie 2020“ belegt: Danach geben 82 Prozent der Bundesbürger bei Apps und Programmen nur solche Daten frei, die für die Nutzung zwingend erforderlich sind. 59 Prozent der Befragten wüssten zumindest bei den meisten von ihnen genutzten Anwendungen, welche Daten sie freigegeben haben. Darauf gründen auch Bedenken über die langfristige Konditionierung der Bevölkerung durch Tracing-Apps: Unklar ist, wie lange die Kontaktverfolgung empfohlen bleibt und inwieweit die Freiwilligkeit doch in eine Selbstverpflichtung mündet, etwa bei Reisen.

So entwickelt bereits ein Konsortium aus drei internationalen Technologieunternehmen eine „Corona Travel App“ für weltweites Reisen. Sie gleicht automatisch die individuellen Gesundheitsdaten mit den Einreisebestimmungen der Zielländer ab. Wer Voraussetzungen wie Tests oder Impfungen erfüllt, darf in das Land einreisen. Hier soll der Datenabgleich auf COVID-19-Informationen beschränkt sein. Das Konsortium bilden die ottonova services GmbH aus München, das internationale Unternehmen für Digitalisierung und strategischen Wandel Nortal aus Estland und die Gesundheitsdatenplattform inHealth aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Dr. Olaf Konstantin Krueger

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