Mühldorf a.Inn/Rosenheim — Angespannte Personalsituation und weniger Mittel, indes mehr Aufgaben und zusätzliche Anspruchsberechtigte: Die Jobcenter arbeiten am Limit. Im Vergleich zu den vom Bund zugeteilten Mitteln 2022 erhält heuer etwa das Jobcenter Mühldorf am Inn 4,95 Prozent weniger, im Landkreis Rosenheim sind es -3,81 Prozent, in der kreisfreien Stadt Rosenheim -4,4 Prozent. Dem stehen Mehraufgaben gegenüber wie die Bewilligung von Bürgergeld, Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten – speziell durch die ukrainischen Kriegsflüchtlinge – und Entfristung des Förderinstruments „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ für besonders arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose. Angesichts einer „drohenden personellen und finanziellen Notsituation“ appelliert Mühldorfs Landrat Max Heimerl an die Bundesregierung, die Mittel sowohl zeitnah den Realitäten vor Ort anzupassen als auch „deutlich“ anzuheben. Und Rosenheims Landrat Otto Lederer fordert die Bundesregierung auf, entsprechend einzugreifen und die Kommunen und Jobcenter zu unterstützen.
Mühldorfs Landrat Max Heimerl (CSU) hat an die von SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP gestellte Bundesregierung appelliert, die Rahmenbedingungen für die Jobcenter schnellstmöglich so zu gestalten, dass die ihnen zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß erledigt werden könnten. Mit Verweis auf eine drohende personelle und finanzielle Notsituation im Jobcenter Mühldorf am Inn fordert Heimerl von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, MdB (SPD), und von Bundesfinanzminister Christian Lindner, MdB (FDP), eine deutliche Anhebung der Bundesmittel.
Mühldorf a.Inn: Notsituation droht
Heimerl erklärt, die Mitarbeiter im Jobcenter „haben ihre seit Jahren hohe Leistungsbereitschaft und -fähigkeit gerade in den vergangenen Monaten mit der kurzfristigen Umsetzung des Rechtskreiswechsels eindrucksvoll unter Beweis gestellt“. Dafür hätten sie „zum wiederholten Male persönliche Belange zurückgestellt und mit großem Engagement den Übergang der aus der Ukraine geflüchteten Personen ins SGB II gemeistert“.
Im Eingliederungs- und Verwaltungshaushalt für 2023 spiegelten sich aber weder der damit verbundene zusätzliche Aufwand wider noch die steigenden Antragszahlen. Vielmehr wurde konkret das Budget des Jobcenters Mühldorf am Inn gegenüber 2022 gekürzt und keine weitere Stelle geschaffen. Dies sei angesichts zusätzlicher Aufgaben „eine schallende Ohrfeige“, verdeutlicht Heimerl, der auch Mitglied der Trägerversammlung des Jobcenters ist.
Der Bund sei dafür verantwortlich, den Jobcentern die zur Aufgabenerledigung erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. „Sollten die Bundesmittel für 2023 nicht bedarfsgerecht erhöht werden, gerät nicht nur unser Jobcenter in eine prekäre Notsituation, die den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft ernsthaft gefährdet“, warnt Heimerl und fordert, die Bundesmittel zeitnah den Realitäten vor Ort anzupassen und „deutlich“ anzuheben.
Rosenheims Landrat Otto Lederer (CSU) schildert mit Blick auf den Ukraine-Konflikt und die steigenden Asylbewerberzahlen die Situation der Kommunen als „angespannt“, die der Jobcenter als „besonders herausfordernd“: „Vor dem Hintergrund fordere auch ich die Bundesregierung auf, entsprechend einzugreifen und die Kommunen und die Jobcenter in dieser Angelegenheit zu unterstützen.“
Rosenheim: Situation „angespannt“
Dem Landratsamt Rosenheim zufolge ist die Situation „angespannt, aber aktuell zu bewältigen“. Das Jobcenter des Landkreises müsse ebenfalls mit weniger Finanzmitteln als im Vorjahr auskommen (-3,81 Prozent), sei jedoch zuversichtlich, mit dieser Mittelausstattung seine Ziele zu erreichen – auch wegen des nach wie vor aufnahmefähigen Arbeitsmarktes.
Grund dafür sei, dass das Jobcenter des Landkreises von Anfang an eng mit dem Ausländeramt des Landratsamtes zusammengearbeitet habe, „um die in der Kürze der Zeit in das SGB II aufzunehmenden Ukrainer zeitnah mit den Grundsicherungsleistungen versorgen zu können“: „Dies bedeutete natürlich einen ungeheuren Kraftakt der Mitarbeitenden, die durch Verschieben des geplanten Urlaubs und zusätzlicher Mehrarbeit zum Teil am Wochenende den Antragsberg abtragen konnten.“ Seit Beginn der Kampfhandlungen Ende Februar 2022 hätten bis Mitte Januar 2023 insgesamt 3.408 ukrainische Kriegsflüchtlinge die Registrierung durchlaufen.
Ähnlich die Lage in der kreisfreien Stadt Rosenheim: Dem Jobcenter Rosenheim Stadt stünden weniger Finanzmittel als im Vorjahr zur Verfügung (-4,4 Prozent), das Budget sei aber „ausreichend“. Die Situation im Jobcenter: „angespannt, aber zu bewältigen“ – unter anderem durch Einsatz und Mehrarbeit der Mitarbeiter. Kurzum: „Das Jobcenter kann derzeit allen zeitnah die Unterstützung anbieten, die sie brauchen.“ Und: Mitte Januar 2023 waren 839 ukrainische Kriegsflüchtlinge registriert.
Mittelausstattung „folgerichtig“
Leonie Gebers (SPD), Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, machte Landrat Heimerl zunächst wenig Hoffnung: Die Zahl der vom Jobcenter Mühldorf am Inn betreuten Leistungsberechtigten sei in dem für die Mittelverteilung 2023 maßgeblichen Zeitraum im Vergleich zum Vorjahr um 9,6 Prozent gesunken: „Dass sich diese Entwicklung in einer moderaten Reduzierung der Mittelausstattung widerspiegelt, ist folgerichtig“, so Gebers.
Diese Darlegung ging laut Heimerl „aber in keiner Weise auf die konkreten finanziellen und personellen Nöte unseres Jobcenters ein“. Die Steigerung der Bedarfsgemeinschaften insbesondere durch die ukrainischen Kriegsflüchtlinge (1.362 Personen Mitte Januar 2023) erfolgte erst nach dem für die Mittelberechnung maßgeblichen Zeitraum, der am 30. Juni 2022 endete.
Allerdings hat der Bund inzwischen durch „viele Interventionen“ der Landkreise, Jobcenter und Gremien zusätzlich 500 Millionen Euro bewilligt und davon 400 Millionen Euro verteilt – anteilig auch an das Jobcenter Mühldorf am Inn. Den Zeitpunkt für die Verteilung der verbleibenden 100 Millionen Euro hat der Bund laut Landratsamt Mühldorf a.Inn noch nicht festgelegt.
Wohnraum „händeringend“ gesucht
Unterdessen sind in der neuen dezentralen Erstanlaufstelle des Landkreises Mühldorf a.Inn die nächsten 50 Flüchtlinge angekommen – fast ausschließlich Familien beziehungsweise Frauen mit Kindern. Die ehemalige ESV-Halle in der Adolf-Kolping-Straße, die von der Kreisstadt zur Verfügung gestellt wurde, bietet Platz für insgesamt 80 Menschen. Die Regierung von Oberbayern hat für Ende Januar weitere 50 Personen angekündigt.
Da die Ankunftszentren bayernweit zu über 100 Prozent ausgelastet sind und mit weiteren Zuweisungen zu rechnen sei, sucht der Landkreis „händeringend“ nach Unterbringungsmöglichkeiten. „Wir zeigen selbstverständlich weiterhin eine sehr große Hilfsbereitschaft gegenüber den Menschen, die bei uns Schutz suchen“, sagt Heimerl, mahnt jedoch: „Zugleich stoßen wir mit unseren Möglichkeiten schon jetzt unübersehbar an die Kapazitäts- und Belastungsgrenze“.
Wohnraum, Grundstücke oder bisher nicht als Wohnraum genutzte Immobilien zur Unterbringung von Asylbewerbern jeglicher Herkunft können per E-Mail an unterkunftsverwaltung@lra-mue.de gemeldet werden.
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