„Erst angelockt – dann abgezockt!“, empört sich Rentner Kurt Lindinger, denn private Altersvorsorge werde nicht „honoriert“. Rund acht Millionen Betroffene, die während ihrer aktiven Arbeitsphase privat und ohne Zutun des Arbeitgebers in eine Altersvorsorge investierten, würden bei der Auszahlung hintergangen: Die gesetzliche Krankenkasse verlange von der Ausschüttung eine Sozialabgabe in Höhe von 18 Prozent, obwohl die Beiträge für die Kapitallebensversicherung als sogenannte Direktversicherung bereits „verbeitragt“ wurden. Lindingers Interessenverband wehrt sich.
Wer über seinen Arbeitgeber eine Kapitallebensversicherung als sogenannte Direktversicherung abgeschlossen hat, um privat für seine Altersvorsorge vorzubauen, wird nach Auffassung des 2015 gegründeten „Interessenverband Direktversicherungsgeschädigte (DVG)“ bei der Auszahlung „abgezockt“. Die gesetzliche Krankenkasse teile den Betroffenen nach erfolgter Auszahlung mit, dass auf die gesamte Kapitalleistung noch 18 Prozent Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einschließlich Arbeitgeberbeitrag verteilt auf 120 Monate zu zahlen seien.
Mit Grundgesetz vereinbar
Für die Krankenkassen ist die Kapitalleistung eine der Rente vergleichbare Einnahme, die als Versorgungsbezug gemäß § 229 Sozialgesetzbuch V beitragspflichtig ist. Die Regelung, wonach besagte Kapitalleistung der Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2008 als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt und dargelegt, der Zufluss von Versorgungsbezügen bedeute eine Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers und hätte daher Entgeltersatzcharakter.
Der Ansicht, dass einmalige Kapitalzahlungen strukturell keine Renten der gesetzlichen Rentenversicherung seien und ihnen deshalb der legitimierende Anknüpfungspunkt für das Einbeziehen anderer Versorgungsleistungen in die Beitragspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fehlte, widersprach das BVerfG: Es sah keinen wesentlichen materiellen Unterschied bei „beschäftigungsbezogenen Einnahmen zwischen laufend gezahlten Versorgungsbezügen und nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistungen identischen Ursprungs und gleicher Zwecksetzung, insbesondere einmaligen Kapitalleistungen aus Direktversicherungen“.
Volle Beitragspflicht
So konzentriert sich der DVG auf das für diese „zutiefst ungerechte und unsoziale Regelung“ ursächliche Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG). Es bildet die rechtliche Grundlage für den 2003 begonnenen Versuch einer Reform des Gesundheitswesens unter Kostengesichtspunkten.
Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) verfolgte das Ziel, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und damit die Lohnnebenkosten dauerhaft zu senken. Das GMG sollte die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sicherstellen sowie mittels umfangreicher Zuzahlungen und Zusatzversicherungspflichten den überproportionalen Anstieg des Gesamtsozialversicherungsbeitrags verhindern. Das Gesetz wurde am 14. November 2003 beschlossen und trat am 1. Januar 2004 in Kraft. Durch spätere Veränderungen wurden Versorgungsbezüge aus Betriebsrenten sowie vom Arbeitgeber mitfinanzierte Direktversicherungen der vollen Beitragspflicht unterstellt.
„Unrecht“
Der DVG beharrt darauf, Beitragspflicht bestehe nur für Versorgungsbezüge, Kapitalzahlungen seien keine Versorgungsbezüge. Laut DVG-Vorsitzender Gerhard Kieseheuer beseitigte die Neufassung des § 229 SGB V alleine die bis Ende 2003 bestehende Umgehungsmöglichkeit einer grundsätzlich vorhandenen Beitragspflicht. Seitdem verlangten die Krankenkassen aber pauschal von allen Versicherten einen „Zwangsbeitrag“. Dass Rentner vom Ersparten obendrein den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil zahlen müssten, hält Kieseheuer für „Unrecht“.
Kurt Lindinger von der „Arbeitsgruppe Politik“ der DVG sieht das Problem darin begründet, dass sich das BVerfG bislang nur mit der betrieblichen, nicht aber mit der privat finanzierten Direktversicherung befasst habe. „Die privat finanzierte Gehaltsumwandlungsversicherung speist sich aus bereits verbeitragtem Nettogehalt und ist deshalb nicht erneut zu verbeitragen“, stellt er heraus und betont, Millionen Versicherte seien zutiefst enttäuscht worden seien, weil der Bundestag rückwirkend in geschlossene Verträge eingegriffen hätte. „Wir kämpfen gegen die Krankenkassen, Sozialgerichte und letztlich gegen die Politik.“ Laufend schlössen sich weitere Betroffene dem Interessenverband an, doch viele Arbeitnehmer wüssten noch nicht, was auf sie zukäme. Lindingers Rat: „Hände weg von Direktversicherungen!“
Olaf Konstantin Krueger
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