Initiative „Wir stehen zusammen“ fordert Betriebsöffnungen – Dettendorfer: „Viele brauchen bereits ihre Altersvorsorge auf“
Transparente auf der Demonstration "Hand in Hand für den Mittelstand" der Unternehmer-Initiative "Wir stehen zusammen" am 30. April 2021 im Mangfallpark Rosenheim. Foto: Olaf Konstantin Krueger
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Initiative „Wir stehen zusammen“ fordert Betriebsöffnungen – Dettendorfer: „Viele brauchen bereits ihre Altersvorsorge auf“

Rosenheim — Medienkampagnen, Ver­samm­lun­gen im Süden Oberbayerns und die Groß­kund­ge­bung „Hand in Hand für den Mit­tel­stand“ mit rund 1.300 De­mon­stran­ten im Mangfallpark Rosenheim: Die Un­ter­neh­mer-Ini­tia­ti­ve „Wir ste­hen zu­sam­men“ warnt seit zwei Mo­na­ten vor den „Kol­la­te­ral­schä­den“ der Corona-Maß­nah­men. Ge­tra­gen wird die Ini­tia­ti­ve von knapp 4.400 Be­trie­ben mit über 47.000 Ar­beits­plät­zen. Da­von kom­men al­lei­ne aus den Schwer­punkt-Land­krei­sen Rosenheim und Miesbach über 1.500 Un­ter­neh­men mit rund 17.000 Ar­beits­plät­zen. Mit „Durch­hal­te­pa­ro­len“ wol­len sich die Mit­tel­ständ­ler nicht mehr zu­frie­den­ge­ben. Markus Dettendorfer, Ge­schäfts­füh­rer der Det­ten­dor­fer Ma­schi­nen­bau GmbH in Söchtenau und Mit­ini­tia­tor, er­klärt ih­re An­lie­gen.

Krueger: Die in der Ini­tia­ti­ve „Wir ste­hen zu­sam­men“ en­ga­gier­ten mit­tel­stän­di­schen Un­ter­neh­mer ver­ste­hen sich als par­tei­po­li­tisch un­ab­hän­gig, wol­len sich für ei­ne rechts­staat­li­che und freie Ge­sell­schaft ein­set­zen so­wie vom Ex­tre­mis­mus dis­tan­zie­ren. Ihr Fo­kus sei der Mit­tel­stand: das Über­le­ben von Be­trie­ben, der Schutz von Ar­beits- und Aus­bil­dungs­plät­zen. Wel­che kon­kre­ten Pro­ble­me ver­an­las­sen die Un­ter­neh­mer im 13. Mo­nat der Corona-Krise zum or­ga­ni­sier­ten Pro­test?

Dettendorfer: Viele unserer Mitzeichner ha­ben seit ei­nem Jahr deut­li­che Aus­fäl­le in ih­ren Um­sät­zen, Kurz­ar­beit oder durch Schlie­ßun­gen so­gar fak­tisch Be­rufs­ver­bot. Die dar­aus fol­gen­den fi­nan­ziel­len Nach­tei­le kön­nen von ei­ni­gen durch das Auf­brau­chen von Rück­la­gen aus­ge­gli­chen wer­den. Be­son­ders tra­gisch ist die­se Si­tua­tion in Han­del, Gas­tro­no­mie, Kunst und Mu­sik, Fo­to­gra­fie usw.: Hier brau­chen vie­le be­reits ih­re Al­ters­vor­sor­ge auf.

Krueger: Stichwort: Arbeitslosigkeit. Angaben der Bundesregierung zufolge haben in der Corona-Krise 2020 mehr als eine Million Menschen ihre Arbeit verloren, davon rund 477.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und etwa 526.000 geringfügig Beschäftigte. Besonders betroffen: das Gastgewerbe mit circa 398.000 Beschäftigten, das verarbeitende Gewerbe mit etwa 128.000 Beschäftigten, die meisten in der Metall- und Elektroindustrie, zudem rund 78.000 Minijobber in der Kunst-, Unterhaltungs- und Erholungsbranche. Welche Maßnahmen haben die Unternehmer der Initiative zur Bewältigung der Corona-Krise ergriffen?

Dettendorfer: Die meisten versuchen, durch Kurzarbeit ihre Beschäftigten zu halten. Damit diese Arbeitnehmer, besonders im Bereich der Geringverdiener, überleben können, stocken viele Betriebe dies sogar noch auf. Soweit möglich, haben die Unternehmer auch versucht, ein „To Go“-Geschäft oder einen Online-Verkauf auf die Beine zu stellen.

Krueger: Stichwort: Wirtschaft. „Wir werden den Wirtschaftseinbruch nicht nur stoppen, sondern wir werden ihn umkehren. Wir haben spätestens 2022 wieder die alte Stärke erreicht“, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) jüngst angekündigt. Und die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Veronika Grimm, Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Universität Erlangen-Nürnberg sowie Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ist zuversichtlich: Grimm erwartet mit Ende der Corona-Maßnahmen eine „kräftige Erholung im zweiten Quartal“. Aktuell wird in Aussicht gestellt, die problematischen Grundrechtseinschränkungen für Geimpfte oder negativ Getestete aufzuheben, wobei Gesundheitsökonom Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) meint, dass diese dann Impfpässe oder Antigen-Tests benötigen. Welchen Stellenwert misst die Initiative solchen Prognosen bei?

Dettendorfer: Von solchen Prognosen halte ich sehr wenig. Diese Durchhalteparolen hören wir nun schon seit Jahresbeginn. Viele Versprechungen der Regierung/Minister/Abgeordneten wie schnelle Hilfe, baldige Öffnungsperspektive werden laufend gebrochen. Im Übrigen ist der in den Internet-Handel abgewanderte Kunde schwer zurückzuholen. Falls sie es überstanden haben, sind nach dieser Durststrecke gebeutelte Unternehmen mit dann kleiner Eigenkapitalquote nicht wirklich investitionsfähig und daher nicht fit für eine schnelle Konjunkturerholung. Es zeigt sich bereits jetzt, dass sich das Einteilen der Bevölkerung in getestet/nicht getestet, bald dann geimpft/nicht geimpft, enorm auf die Kauflaune der Leute auswirkt. Viele unserer Unternehmerinnen und Unternehmer sind grundsätzlich der Meinung, dass eine Aufteilung unserer Gesellschaft nicht an unseren Türen stattfinden darf. Das führt zwangsläufig zu einer gefährlichen Spaltung.

Krueger: Stichwort: „Bundes-Notbremse“ – genauer: „Viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Derzeit liegen alle 96 bayerischen Landkreise und kreisfreien Städte oberhalb der 7-Tage-Inzidenz von 50, bei der die Öffnung von nicht-essenziellen Geschäften mit Kundenverkehr erlaubt ist, wenn Schutz- und Hygienemaßnahmen wie Obergrenze der Kundenzahl pro Quadratmeter, Mindestabstand, Maskenpflicht, Schutz- und Hygienekonzept eingehalten werden. 65 liegen höher als der Schwellenwert 150, sind vom „harten Lockdown“ der „Bundes-Notbremse“ betroffen. Das ist nach den Worten von Eberhard Sasse, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK), ein deutlicher Rückschlag, denn der Freistaat wollte ursprünglich das Shopping nach Anmeldung und Test auch dann erlauben. Die Initiative hat schon im Vorfeld erhebliche Zweifel an Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit der im Gesetz getroffenen Maßnahmen geäußert. Welcher Lösungsansatz schwebt den Unternehmern stattdessen vor?

Dettendorfer: Unsere Initiative fordert hierzu seit Wochen das Öffnen aller Betriebe zu den Bedingungen vom Oktober 2020. Mit diesen Maßnahmen hat beispielsweise die Gastronomie bewiesen, dass von ihr keine erhöhte Infektionsgefahr ausgeht.

Krueger: Stichwort: Hilfsgelder. Im Freistaat ist die IHK für München und Oberbayern im Auftrag der Bayerischen Staatsregierung für die Abwicklung der Wirtschaftshilfen zuständig. Nach ihren Angaben haben seit Juli 2020 von der Corona-Krise betroffene Selbstständige, Betriebe und Einrichtungen in Bayern Zuschüsse in Höhe von vier Milliarden Euro erhalten. Die Summe umfasst die bislang ausgezahlten Unterstützungsgelder der Programme Überbrückungshilfe I bis III, November-, Dezember- sowie der bayerischen Oktoberhilfe. Mehr als 50 Pro­zent der bewilligten und ausgezahlten Gelder erhielten Antragssteller aus dem Gastgewerbe (über zwei Mil­liar­den Eu­ro). Mit einem Anteil von fast zwölf Prozent (472 Mil­lio­nen Eu­ro) folgt der Wirtschaftszweig „Kunst, Unterhaltung und Erholung“, zu dem unter anderem Kinos, Museen, Theater, Konzertveranstalter, Freizeitparks und Fitnessstudios gehören. Rund zehn Pro­zent der Corona-Hilfen (383 Mil­lio­nen Eu­ro) ging an Betriebe aus dem Wirtschaftszweig „Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen“, zu dem neben dem klassischen Einzelhandel auch der Großhandel sowie Autohäuser und Kfz-Werkstätten gehören. Laut IHK-Präsident Sasse ersetzen die Hilfsgelder aber „niemals selbst erwirtschaftete Umsätze“. Nötig sei vielmehr eine Öffnungsperspektive. Wie kann diese für die Unternehmer der Initiative aussehen?

Dettendorfer: Das ist richtig, die selbst erwirtschafteten Umsätze sind unerlässlich. Teile des Wirtschaftskreislaufs durch Hilfszahlungen zu ersetzen, ist nicht das Gleiche. Durch den Lebensmittelhandel ist ersichtlich, dass – obwohl in Supermärkten zu Stoßzeiten etwas anderes zu erwarten wäre – mit einer Personenbegrenzung je nach Größe des Geschäfts das Ansteckungsrisiko zu vernachlässigen ist. Meiner Meinung nach wäre in Außenbereichen, wenn ein entsprechender Abstand – Terrassen, Märkte usw. – gewährleistet werden kann, der Verzicht auf das umstrittene Masken-Tragen sinn­voll.

Krueger: Stichwort: Entschädigung. Ministerpräsident Dr. Markus Söder (CSU) hat bei einer 7-Tage-Inzidenz unter 100 ab 10. Mai 2021 Öffnungen für Außengastronomie und Hotels angekündigt. Angela Inselkammer, Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA Bayern, begrüßt dies. Der Verband fordert zugleich eine Öffnung für alle Geimpften, Genesenen und negativ Getesteten unabhängig von Inzidenzwerten – zunächst mit umfassender Teststrategie und digitaler Kontaktnachverfolgung, dann bei rückläufigem Infektionsgeschehen ohne Tests. An die Bundespolitik gerichtet fordert Inselkammer die Entschädigung des kompletten durch die zwangsweise Schließung entstandenen Schadens, „und zwar für gestern, heute und morgen“. Wie steht die Initiative zu diesen Forderungen?

Dettendorfer: Der vollständige Ausgleich aller Schäden ist meines Erachtens eine Utopie. Bei den derzeit sinkenden Steuereinnahmen und gleichzeitig massiv steigenden Sozialausgaben, beispielsweise für das Kurzarbeitergeld, klafft bereits jetzt eine gigantische Lücke von circa 200 Milliarden Euro im Haushalt. Bei den bereits angehäuften Milliarden-Verlusten in den Sozialversicherungen werden auch Staatszuschüsse notwendig werden. Nachdem allen ein Impfangebot gemacht wurde, ist die politische Beendigung der Maßnahmen unumgänglich. Nur dies und die schnelle Umkehr zu einem Leben mit Corona in Eigenverantwortung der Bürger und Unternehmen kann die bevorstehende Katastrophe verhindern.

Krueger: Herr Dettendorfer, danke für das Gespräch.

Dr. Olaf Konstantin Krueger

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