Mühldorf am Inn/Rosenheim – Heulende Motoren im Leerlauf, hochtouriges Fahren, starkes Beschleunigen und Bremsen: Die „Auto-Poser-Szene“ sieht die Straßen nach dem Lockdown wieder als ihre Bühne. Dabei verursacht die als „Posing“ bezeichnete rücksichtslose Fahrweise in Innenstädten zusätzlichen Lärm und vermeidbare Abgase, führt zu Verdruss bei Passanten und Anwohnern. Die Polizei hält seit Jahren dagegen, hat fachlich und sachlich aufgerüstet und sucht, die dreisten Selbstdarsteller auszubremsen: Verkehrskontrollen führen immer wieder zu Bußgeldern, Punkten in Flensburg, Ordnungswidrigkeitsverfahren und Fahrverboten. Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd rät, jegliche Behinderung, Belästigung oder Gefährdung unmittelbar telefonisch an die örtlich zuständige Polizeiinspektion oder über den Notruf 110 zu melden. Selbst wenn der Ausgang eines Einsatzes offen ist und stets der Einzelfall geprüft wird, ist die Polizei auf die Mithilfe der Bürger angewiesen.
Rosenheim, Ende Mai. Innerhalb von sieben Tagen zieht die Polizei bei Geschwindigkeitskontrollen 58 Fahrer aus dem Verkehr. Die meisten erhalten ein Bußgeld und Punkte in Flensburg. Ein Beifahrer in Kolbermoor zeigt sich jedoch weniger einsichtig, stört mehrfach die Aufnahme der Daten und beleidigt die Beamten als „blöde Vögel“. Den 52-Jährigen erwartet ein Strafverfahren wegen Beleidigung.
Bad Aibling, Mitte Juni. Verkehrskontrollen mit Augenmerk auf Raser, Tuner und „Auto-Poser“. Anlass sind Beschwerden über Lärmbelästigung durch laute Motorengeräusche sowie rüpelhafte Fahrweisen. Fünf Raser werden ermittelt, erhalten ein Bußgeld wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Zwei der Geschwindigkeitssünder bekommen Punkte in Flensburg und einen Monat Fahrverbot. Einige der Fahrzeuglenker rechnet die Polizei der örtlichen „Auto-Poser-Szene“ zu.
Waldkraiburg, Mitte Juni. Verkehrsüberwachung mit Blick auf Kraftfahrzeugmanipulationen. Mehrere Fahrzeuge werden aufgrund mitgeführter Ausrüstungsgegenstände und geringfügiger Verschleißerscheinungen beanstandet. Die Beamten legen zwei getunte Fahrzeuge wegen diverser Umbauten still, da die Verkehrssicherheit bei diesen wesentlich beeinträchtigt ist. Die Fahrzeuglenker erhalten im Rahmen der eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren Bußgelder, Punkte in Flensburg sowie Mitteilungen an die örtlich zuständige KfZ-Zulassungsstelle.
Waldkraiburg, Ende Juni. Während einer allgemeinen Verkehrskontrolle stellen die Beamten beim Mercedes eines 24-Jährigen aus Gars am Inn Veränderungen am Fahrwerk fest. Da diese nicht von einem Sachverständigen abgenommen sind, ist die Betriebserlaubnis erloschen. Eine Weiterfahrt wird unterbunden.
Unterschied zwischen Auto-Tuning und Auto-Posing
Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd unterscheidet zwischen legalem und illegalem Auto-Tuning sowie Auto-Posing. Das legale Tuning ist laut Pressesprecher Martin Emig „zweifelsfrei eine Frage des Geschmacks, aber abseits der Kontrollen kein Tätigkeitsfeld für die Polizei“. Wird der Bereich der Legalität beim Tuning verlassen, eröffnen sich für die Polizei Möglichkeiten zur Sanktion: Die Betroffenen erhalten Bußgeldbescheide, haben Aufwände für Rückbau und Behördengänge. Das Auto-Posing betreiben wiederum überwiegend junge Verkehrsteilnehmer, die mit ihren leistungsstarken und mitunter unzulässig getunten Fahrzeugen absichtlich Verkehrsvorschriften missachten und hauptsächlich in den Städten für erhebliche Lärmbelästigungen verantwortlich sind.
Über die Auto-Tuning-Szene in den Landkreisen Mühldorf am Inn und Rosenheim sowie in der kreisfreien Stadt Rosenheim liegen dem Polizeipräsidium Oberbayern Süd keine empirischen Zahlen vor. Dass eine solche „Szene“ vorhanden ist, belegen Emig zufolge bereits die Teilnehmer- und Besucherzahlen von Tuning-Veranstaltungen in der Region. Die Frage nach der aktuellen Größe der entsprechenden „Auto-Poser-Szene“ könne nicht exakt beantwortet werden. Die Erfahrungen der örtlichen Dienststellen aus den letzten beiden Jahren zeigten nur, dass diese Szene einem ständigen personellen Wechsel unterliege und sehr von der Jahreszeit und dem Wetter abhänge: In Erscheinung träten die Auto-Poser überwiegend in den größeren Städten der beiden Landkreise und in der kreisfreien Stadt Rosenheim. Sie bezweckten, sich einer Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer zu „präsentieren“. Leitgedanke: „Sehen und gesehen werden.“
Kraftfahrzeugmanipulationen fordern die Polizei
Beliebt bei Tunern wie Posern sind hochwertige oder hochmotorisierte Fahrzeuge unterschiedlicher, vornehmlich deutscher Hersteller. Im Mittelpunkt der mechanischen Veränderungen stehen das Fahrwerk, die Rad-/Reifenkombination außerhalb des zugelassenen Rahmens sowie der Abstand des Fahrzeugrahmens zum Boden. So wird beim Fahrwerk ohne entsprechendes Teilegutachten und ohne Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) ein neues verbaut. Beim „Tieferlegen“ wird häufig ein Gewindefahrwerk eingesetzt. Die grundsätzlich schlechtere Alternative ist das Kürzen der Federn.
Problem: elektronische Eingriffe. Die Manipulationen an Steuergeräten oder Controllern bei Pkw, Lkw, Motorrad, eScootern und Pedelecs sind mit bloßem Auge schwer zu erkennen. Deshalb wird rund ein Drittel der durch die Polizei gestoppten Fahrzeuge zum Ausfertigen eines Sachverständigengutachtens sichergestellt. Die Kosten für Bußgeld sowie Gutachtenerstellung liegen im vierstelligen Bereich und müssen von den Betroffenen getragen werden. Im Ergebnis kann die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs als Voraussetzung für die Zulassung erlöschen. Da allein durch den Rückbau der Tuningmaßnahmen die Betriebserlaubnis nicht automatisch wieder in Kraft tritt, muss der Betroffenen sie auf eigene Kosten erneut erlangen.
Problem: getunte Klappenauspuffanlagen. Hier kann auf Knopfdruck der Abgasstrom unter Umgehung wesentlicher Teile der Auspuffanlage umgeleitet werden, was zu mehr Lärm führt. „Durch Verordnungen des Europäischen Parlamentes könnte sich hier jedoch eine Besserung in den nächsten Jahren ergeben“, schätzt Emig. Doch auch regionale Initiativen verändern die Verhältnisse für überregionale Fahrer mit getunten Fahrzeugen. Beispielsweise hat das österreichische Bundesland Tirol auf bestimmten Strecken ein Fahrverbot für besonders laute Motorräder im Zeitraum vom 10. Juni bis vorerst 31. Oktober 2020 erlassen. Und das Polizeipräsidium Oberbayern Süd nutzt ein eichfähiges mobiles Schallpegelmessgerät, das eine gerichtsverwertbare Geräuschmessung noch während der Kontrolle ermöglicht.
Problem: verbotene Kraftfahrzeugrennen. Der am 13. Oktober 2017 in Kraft getretene „Raserparagraf“ (§ 315d StGB) traf besonders die Auto-Poser. Selbst die Rennfahrt eines Einzelnen oder die Flucht vor der Polizei mit hoher Geschwindigkeit könnte unter die Tatbestände dieses Prargrafen fallen. Im Jahr 2019 wurde im Dienstbereich des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd hierzu in 38 Fällen Anzeige erstattet. Zwei verbotene Kraftfahrzeugrennen sorgten in den Jahren 2019 und 2020 für Aufsehen: das Autorennen vom 6. Juli 2019 auf der B 15 im Bereich Wasserburg mit sieben bis acht beteiligten Fahrzeugen sowie jenes vom 6. Mai 2020 auf der B 15 im Bereich Rosenheim mit der Sicherstellung eines Ferrari und eines BMW. „Besonders die Möglichkeit der Einziehung der Tatfahrzeuge durch die Polizei ist eine wirksame Erweiterung der polizeilichen Befugnisse durch den § 315d StGB“, betont Emig.
Überwachung der „Auto-Poser-Szene“
Zur Überwachung und Bekämpfung entsprechender Phänomene wurde im Jahr 2017 die Ermittlungsgruppe (EG) „Auto-Poser Rosenheim“ gegründet. „Ohne entsprechendes Fachwissen läuft eine Kontrolle häufig ins Leere“, erklärt Emig. Die Maßnahmen seien vielschichtig und zielten darauf ab, für ein grundsätzliches Umdenken zu sorgen – sowohl durch klärende Gespräche als auch durch konsequente Anzeigenerstattung. Die Vielzahl der festgestellten Verstöße lasse sich einerseits auf den Kontrolldruck, andererseits auf das zunehmende Spezialwissen der Beamten zurückführen. Die EG „Auto-Poser Rosenheim“ sei ein Baustein in einem Maßnahmenbündel, zu dem allgemeine Verkehrskontrollen aller Polizeibeamten und spezialisierte Kontrollen der Verkehrsdienststellen oder der Kontrollgruppe (KG) Motorrad gehörten. Deren technische Ausstattung und deren Personal ergänzten regionale oder zeitliche Schwerpunktkontrollen. Darüber hinaus ergäben sich durch den „Raserparagrafen“ weitläufige Maßnahmen, die früher nur schwierig unter dem Straftatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) subsumiert werden konnten. „Auch hier mussten die Beamten Handlungssicherheit im Umgang mit dem neuen Paragrafen erlangen, was durch gemeinsame Kontrollaktionen und Schwerpunkteinsätze erheblich leichter wird“, sagt Emig.
Die Dienststellen der Landkreise Mühldorf am Inn und Rosenheim sowie der kreisfreien Stadt Rosenheim überwachen die „Auto-Poser-Szene“ gezielt unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten. Die Kontrollgruppe Motorrad trägt dazu ihren Teil für den Bereich der Motorräder bei. Zugleich appelliert der Polizeisprecher an die Bürger: Jede Behinderung, Belästigung oder Gefährdung sollte direkt der örtlich zuständigen Polizeiinspektion oder über den Notruf 110 gemeldet werden.
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