Dorfen – Befürworter wie Gegner halten den A 94-Lückenschluss zwischen Pastetten im Landkreis Erding und Heldenstein im Landkreis Mühldorf am Inn gleichermaßen für eine Zäsur – allerdings aus unterschiedlichen Gründen: Die einen befürworten die Verkehrsinfrastrukturmaßnahme als notwendiges Mittel zur Entlastung der Bundesstraße 12 und zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung der gesamten südbayerischen Region, die anderen lehnen die Isentalautobahn ab als Heimatverlust, Naturzerstörung, Klimaschädigung und Steuergeldverschwendung. Über drei Jahrzehnte wurde gestritten. Anfang Februar 2016 erfolgte der Spatenstich mit Bauarbeiten auf der gesamten Bundesautobahn 94 – kurz „Autobahn 94“ oder schlicht „A 94“ – bis Mühldorf. Seit Anfang Oktober ist der 33 Kilometer lange, vierstreifige Autobahnabschnitt befahrbar. Die A 94 wird zur kürzesten Fernstraße zwischen München und der Grenzregion Passau und verbessert die Verbindung nach Österreich und Südosteuropa.
Weiß-blauer Himmel, Sonnenschein, phasenweise böiger Wind – die feierliche Verkehrsfreigabe auf der Rastanlage Fürthholz-Nord in der Nähe der Autobahnausfahrt Dorfen mit Blasmusik, Ansprachen und kirchlichem Segen unterstrich die überregionale Bedeutung des A 94-Lückenschlusses zwischen Pastetten und Heldenstein. Rund 100 Musikanten aus Altötting, Ampfing, Eggenfelden, Heldenstein, Hohenlinden, Mühldorf, Neuötting und St. Wolfgang begleiteten das Fest musikalisch. Zahlreiche Mandats- und Funktionsträger aus Politik und Wirtschaft nahmen teil, darunter viele Kommunalpolitiker, Altbürgermeister, amtierende Bürgermeister, Landräte, Landes- und Bundespolitiker sowie über 800 Bürgerinnen und Bürger. Nach der vorangegangenen Verkehrsfreigabe der 84 Kilometer zwischen München und Pocking sind mit der neuerlichen Freigabe zwischen Pastetten und Heldenstein nun 117 Kilometer der insgesamt 150 Kilometer langen A 94 fertiggestellt.
„Das ist ein historischer Tag“, befand Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, der den Autobahnneubau für Passau, Südostbayern und ganz Bayern als „Gewinn an Lebensqualität und Mobilität“ ansieht. Denn mit der Strecke zwischen München und Marktl werden Millionenmetropole und Südostbayern besser miteinander verbunden. Dabei zieht sich der nun freigegebene Autobahnabschnitt Pastetten-Heldenstein durch das landschaftlich reizvolle Flusstal der Isen Richtung Chemiedreieck rund um Altötting – ein Grund für die zurückliegenden jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit Bürgerinitiativen und Naturschützern. Der Abschnitt entlastet zugleich die unfallträchtige Bundesstraße 12. Nach Zählungen der Autobahndirektion Südbayern befahren in Spitzenzeiten rund 23.000 Autos die B 12. Zum Vergleich: In Bayern fahren im Schnitt etwa 10.000 Autos pro Tag über eine Bundesstraße. Folgen für die B 12: Staus, Unfälle, Tote. In den letzten 20 Jahren starben hier 110 Menschen. Ein Argument der Befürworter.
A 94-Lückenschluss in Zahlen
Auftraggeber der Verkehrsinfrastrukturmaßnahme ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Freistaat Bayern und dieser vertreten durch die Autobahndirektion Südbayern. Umgesetzt wird die Maßnahme mittels Öffentlich-Private-Partnerschaft (ÖPP). Nach den beiden ÖPP auf der A 8 zwischen Ulm und München ist der Neubau der A 94 das dritte ÖPP-Projekt auf Bundesautobahnen in Bayern. Für Bau und Betrieb des 77 Kilometer langen Autobahnabschnittes zwischen Forstinning und Marktl am Inn ist die privatwirtschaftliche Isentalautobahn GmbH & Co. KG zuständig, welche von den drei Konzernen Berger Bau SE, Eiffage S.A. und der niederländischen BAM PPP A-Modell Holding GmbH gegründet wurde. Der Vertrag läuft über 30 Jahre, vom 1. Februar 2016 bis zum 31. Januar 2046. Die Autobahndirektion Südbayern bleibt uneingeschränkt Eigentümer der Autobahn und nimmt ihre hoheitlichen Rechte selbst wahr.
44 Monate betrug die Bauzeit der 33 Kilometer langen Neubaustrecke zwischen Pastetten und Heldenstein. Ihre zehn Meter breite Fahrbahn mit vier Streifen ist mit Seitenstreifen versehen. Das Autobahnteilstück hat vier Großbrücken mit einer Stützweite von bis zu 600 Metern sowie 24 mittelgroße und 29 kleinere Brücken. Insgesamt wurden rund 31.800 Quadratmeter Lärmschutzwände und -wälle gebaut: Die Lärmschutzanlagen haben eine Gesamtlänge von 22 Kilometern, wovon 13,6 Kilometer aus Wänden und 8,3 Kilometer aus Wällen bestehen. Auf mehr als der Hälfte der A 94 ist aus Schallschutzgründen ein lärmmindernder Fahrbahnbelag in bituminöser Bauweise ausgeführt worden. Zum Ausgleich für die Eingriffe in Natur und Landschaft auf insgesamt 115 Hektar Fläche wurden knapp 80 Ausgleichs- und Ersatzflächen neu hergestellt.
Scheuer: „Schneller und sicher Verkehrsfluss“
Für die Redner beim Festakt überwog klar der Nutzen des A 94-Lückenschlusses. Michael Kordon, Präsident der Autobahndirektion Südbayern, Dr. Hans Reichhart, Bayerischer Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr, Stephan Mayer, CSU-Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, sowie CSU-Landtagsabgeordneter Marcel Huber und Bartholomäus Kalb, Aufsichtsrat der Firma Berger Bau SE und MdB a.D. (CSU) unterstrichen die Notwendigkeit der Infrastrukturmaßnahme. Bundesverkehrsminister Scheuer hielt plakativ fest: „Eine weitere Riesen-Lücke ist geschlossen, das Ziel ist in Sicht. Wir haben 117 von 150 Kilometern fertig gebaut. Der Verkehr fließt hier nun schneller und sicher.“
Dies sieht auch die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern so: „Endlich kann der Verkehr auf der Isentalautobahn fließen“, erklärt IHK-Vizepräsidentin und Vorsitzende des Regionalausschusses Altötting-Mühldorf, Ingrid Obermeier-Osl. Jahrzehntelang habe die heimische Wirtschaft auf den A 94-Lückenschluss gewartet. Mit der Inbetriebnahme des Autobahnteilstücks sei ein verkehrspolitischer Meilenstein erreicht, der die überregionale Anbindung der Wirtschaft zwischen Inn und Salzach erheblich verbessere. Allein aus Industrie, Handel und Dienstleistungen würden über 14.000 regionale Betriebe von dem besseren Anschluss an das bayernweite Fernstraßennetz profitieren. Das gelte ebenso für tausende Pendler aus den Landkreisen Altötting und Mühldorf: „Der Lückenschluss trägt erheblich dazu bei, unsere Landkreise als attraktive Standorte für Gewerbe, Handel, Dienstleistungen sowie Industrie zu sichern. Auch für dringend benötigte Fachkräfte von außerhalb ist eine gute Verkehrsanbindung essenziell. Nur so ist erfolgreiches Unternehmertum auch in Zukunft möglich“, ist Obermeier-Osl überzeugt.
Obermeier-Osl: „Wirtschaftsstandort neu denken“
Die Unternehmerin sieht die wirtschaftliche Weiterentwicklung in der gesamten Region aber auch herausgefordert. „Wir haben jetzt die Chance, unseren Standort neu zu denken. Gerade die künftige Entwicklung von Gewerbe und Handel in den Gemeinden braucht eine strategische Planung“, erläutert Obermeier-Osl. Der IHK-Regionalausschuss Altötting-Mühldorf hatte sich bereits im Sommer dieses Jahres für die Ausarbeitung einer Strategie zur regionalen Standortweiterentwicklung ausgesprochen. An dieser Initiative würden sich die Handwerkskammer, die Kreishandwerkerschaft Altötting-Mühldorf sowie beide Landkreise beteiligen. Denn eine gute Standortanbindung und eine gesicherte, bedarfsgerechte Mobilität, die mit den wachsenden Herausforderungen an die Betriebe Schritt halten kann, seien für die Wirtschaft existenziell. „Wir wissen um das Risiko, das eine nicht abgestimmte Entwicklung den Dreiklang zwischen Wohnen, Leben und Arbeiten in den Kommunen der beiden Landkreise aus dem Gleichgewicht bringen kann“, legt die IHK-Vizepräsidentin dar.
Obermeier-Osl betont wie Scheuer, der Bau des noch offenen, letzten Autobahnteilstücks ab Marktl am Inn bis zur A 3 bei Pocking müsse zügig angegangen werden. Der IHK-Regionalausschuss Altötting-Mühldorf hatte sich schon im Herbst 2017 für den umgehenden und durchgängigen Ausbau der A 94 bis zur A 3 ausgesprochen, wie es im Bundesverkehrsplan festgelegt sei: „Das übergeordnete Ziel ist die Vernetzung der wirtschaftlichen Zentren unserer Region und Südostoberbayerns mit den Großräumen München und Passau“, so Obermeier-Osl. Parallel dazu müsse der Ausbau des Schienennetzes konsequent weiterverfolgt werden, etwa der durchgängige zweigleisige Ausbau und die Elektrifizierung der Ausbaustrecke 38 und die Elektrifizierung der Strecke von Tüßling nach Burghausen sowie deren Ertüchtigung, um höhere Achslasten und längere Güterzüge zu ermöglichen.
Margraf: „Isentalautobahn hat Heimat zerstört“
Völlig anders bewertet der BUND Naturschutz (BN) den A 94-Lückenschluss. Der BN hat sich 35 Jahre lang in einer Aktionsgemeinschaft für die „ökologisch verträglichere Variante“ an der bestehenden B 12 eingesetzt. Für BN-Landesvorsitzender Richard Mergner hat mit der Verkehrsfreigabe „eines der naturzerstörendsten und flächenfressendsten Vorhaben, das mit Hunderten Millionen Steuergeldern finanziert worden ist,“ seinen Abschluss gefunden. „Es ist in Zeiten der Klimakrise und des Artensterbens ein besonders drastisches Beispiel für die verfehlte Verkehrspolitik der Staats- und Bundesregierung“. Christine Margraf, stellvertretende Landesbeauftragte und Artenschutzreferentin des BN, sieht durch die Isentalautobahn viel Heimat zerstört: „Schützenswerteste Landschaft mit kleinstrukturierter Kultur- und Naturlandschaft Oberbayerns wurden für ein unsinniges Neubauprojekt geopfert.“
„Mit Ausnahme der Grünen haben sich hier alle Parlamentsparteien schuldig gemacht“, sekundiert Heiner Müller-Ermann, Sprecher der Aktionsgemeindschaft gegen die Isentalautobahn: Mit „fundamentalistischer Sturheit“ sei eine falsche Trassenentscheidung aus den 1970er-Jahren durchgezogen worden, obwohl selbst staatliche Fachgutachten gezeigt hätten, dass eine Lösung im Bereich der B 12 ungleich besser gewesen wäre. Und Rita Rott vom BN Dorfen ergänzt, neben der Wut auf die Verantwortlichen für diese Zerstörung bleibe doch „die Erinnerung an den großartigen Zusammenhalt in den vielen Jahren des gemeinsamen Kampfes.“
Der BN fordert daher von Ministerpräsident Dr. Markus Söder (CSU) und der schwarz-orangefarbenen Landesregierung aus CSU und Freien Wählern den Stopp weiterer Straßenneu- und -ausbauten in Bayern sowie die Umverteilung der Mittel „für einen attraktiven Bus- und Bahnverkehr“. Fokussiert auf die Region verlangt der BN, den Bahnausbau München-Mühldorf-Freilassing „massiv“ zu beschleunigen.
Aktivisten: „Kein Grund zum Feiern“
Dass die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern des A 94-Lückenschlusses nicht zugeschüttet sind, verdeutlichte die Störung der Ansprache von Bundesverkehrsminister Scheuer durch drei Aktivisten. Während diese sich vor dem Pult des Ministers aufstellten, dabei bemalte Laken mit der Forderung nach einer „Mobilitätswende“ zeigten und gebetsmühlenartig ausriefen „Kein Grund zum Feiern“, betonte Scheuer, er sei überzeugt, dass die 150 Kilometer lange A 94 wichtig sei „für Bayern, für Deutschland, für Österreich und für Tschechien“. Nach der rund fünfminütigen Störung, während der Altöttings Landrat Erwin Schneider (CSU) auf die Aktivisten einzureden versuchte, wurden die drei durch zwei Polizisten vom Platz geleitet. Dorfens Bürgermeister Hans Grundner (CSU) gab später seiner Hoffnung Ausdruck, die Gegner des Autobahnneubaus mögen die geschaffenen Fakten „akzeptieren oder zumindest hinnehmen“.
Im Anschluss an die Ansprachen nahmen Pater Janusz Gadk und die evangelische Pfarrerin Anette Schumacher die kirchliche Segnung vor. Mit dem Zerschneiden der Bänder in den Farben Weiß-Blau und Schwarz-Rot-Gold durch die Prominenz war die Verkehrsfreigabe des Autobahnteilstücks schließlich offiziell besiegelt. Bei Leberkässemmeln, Schweinswürstl, Fleischpflanzerl mit Brezen und Käsespätzle sowie alkoholfreien Getränken und Tegernseer Bier feierten danach noch viele Gäste das Ereignis.
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