Töging – Der Diebstahl eines Leiterwagerls hat dieser Tage erhöhte mediale Aufmerksamkeit erhalten. Das jahrzehntealte Vehikel war in der Nacht zum Fronleichnamstag samt Blumenschmuck im Terrakotterbehältnis vor „Selle’s Einkehr zum Müllerbräu“ entwendet worden. Tags darauf flunkerten die Töginger Wirtsleute Michael und Justine Selmaier auf der Facebook-Seite „Spotted: Mühldorf am Inn und Umgebung“, die Täter seien von einer Überwachungsanlage gefilmt worden, könnten aber einer Anzeige wegen Vandalismus und Diebstahls entgehen, wenn der Wagen binnen eines Tages zurückgebracht werde. Die Täter ließ dies wohl unbeeindruckt, doch Nachbarn, Freunde und Gäste suchten und fanden den Wagen einige hundert Meter entfernt vom Gasthaus bei einem Verbrauchermarkt – freilich ohne Blumenschmuck. Obschon manche Facebook-Kommentatoren statt den Diebstahl vielmehr die vermeintliche Videoüberwachung kritisierten, denken die Wirtsleute nun doch über die Installation einer Überwachungsanlage nach. Welche rechtlichen Fallstricke gilt es dabei zu umgehen?
Videoüberwachung ist nur zulässig, wenn sie gesetzeskonform installiert und betrieben wird. Rechtlich berührt sein können das Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht am eigenen Bild, das Strafgesetzbuch, betriebliche Mitbestimmung, Landesdatenschutzgesetze, das Bundesdatenschutzgesetz und die Europäische Datenschutzgrundverordnung. Leitlinien: Installation und Betrieb von Überwachungsanlagen müssen datenschutzkonform sein, Aufnahmen von öffentlich zugänglichen Bereichen sind regelmäßig unzulässig, Videoaufzeichnungen im eigenen privaten Umfeld sind regelmäßig zulässig, die Beobachtung muss kenntlich gemacht werden, fremdes privates Umfeld darf nicht gefilmt werden, unrechtmäßig gefilmte Personen können Unterlassung und Schadenersatz verlangen. In jedem Fall ist eine ausführliche Interessenabwägung vorzunehmen zwischen dem berechtigten Interesse an einer Überwachung und dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Kriterien: Rechtmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit, Zweckdienlichkeit.
Bei der Videoüberwachung am Arbeitsplatz sind die schützenswerten Interessen der Arbeitnehmer mit denen des Arbeitgebers sowie die Relevanz bestimmter arbeitsrechtlicher Vorschriften und Gerichtsurteile gegeneinander abzuwägen. Bei der Videoaufzeichnung im eigenen privaten Umfeld muss den Kriterien entsprechend vor dem Einsatz einer Überwachungsanlage sorgfältig abgewogen werden zwischen dem berechtigten Interesse des Eigentümers, beispielsweise sein Grundstück vor rechtswidrigen Übergriffen zu schützen, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht jener Personen, die in den überwachten Bereich eintreten, und der Möglichkeit, Beeinträchtigungen mittels milderer Maßnahmen wie mechanische Sicherungen zu begegnen.
Zulässigkeitsvoraussetzung laut EU-DSGVO
Die Europäische Datenschutzgrundverordnung regelt die vollständig oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem strukturierten Dateisystem gespeichert sind. Beispiele hierfür sind Personalverwaltung und Lohnbuchhaltung, Zugang zu und Nutzung einer Kontaktdatenbank, Versand von Werbe-E-Mails, Vernichtung von Akten mit personenbezogenen Daten, Veröffentlichung und Einstellung eines Fotos einer Person auf einer Website, Speicherung von IP- oder MAC-Adressen sowie Videoaufzeichnungen.
Videoüberwachung und damit die Verarbeitung personenbezogener Daten ist etwa dann rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen erforderlich ist (Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f). Zur Informationspflicht bei der Erhebung von personenbezogenen Daten gehören unter anderem: Name und Kontaktdaten des Verantwortlichen, gegebenenfalls der Kontakt zum Datenschutzbeauftragten, Zwecke der Verarbeitung und Rechtsgrundlage, berechtigte Interessen der verantwortlichen Stelle und Dritter, eventuell Empfänger von personenbezogenen Daten und beabsichtigte Übermittlungen an Drittländer respektive internationale Organisationen (Artikel 13 Absatz 1), Speicherdauer, Verweis auf das Recht auf Auskunft, Berichtigung, Sperrung und Löschung, Verweis auf Beschwerderecht bei der Aufsichtsbehörde, Verweis auf Verpflichtung zur Bereitstellung von Daten durch den Betroffenen und Folgen einer Weigerung sowie gegebenenfalls der Hinweis auf automatisierte Einzelfallentscheidungen (Artikel 13 Absatz 2).
Die EU-DSGVO verpflichtet von vornherein zu datenschutzfreundlichen Voreinstellungen (Artikel 25), zu Sicherheitsmaßnahmen bei Beschaffung, Installation und Betrieb von Videoüberwachungssystemen (Artikel 32) und zur Datenschutz-Folgenabschätzung (Artikel 35). Sie sieht zudem ein Recht auf Löschung (Artikel 17 Absatz 1) vor. In der Praxis bedeutet dies, bestehende Anlagen sind auf ihre Zulässigkeit hin zu überprüfen, vorhandene Dokumentationen müssen rechtskonform und transparent sein und bei Beschaffung, Installation und Betrieb von Überwachungsanlagen ist auf sichere und datenschutzfreundliche Gestaltung zu achten. Die Töginger Wirtsleute werden all dies vor der Installation einer Überwachungsanlage bedenken müssen.
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