Fast Zweidrittel der Fläche Bayerns eignet sich geologisch zum Endlagern hochradioaktiver Abfälle für eine Million Jahre. Das besagt der Zwischenbericht der für das Suchverfahren zuständigen Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Danach kommen im Freistaat sieben sogenannte Teilgebiete in Frage, länderübergreifend insgesamt 76 Landkreise mit einer Fläche von fast 42.000 Quadratkilometern. In Südostoberbayern eigneten sich die Landkreise Altötting, Mühldorf am Inn, Rosenheim und Traunstein für ein Endlager. Die Standortentscheidung soll im Jahr 2031 fallen, das Endlager 2050 in Betrieb gehen. Doch schon die Veröffentlichung des Zwischenberichts und die Herausnahme des Salzstocks Gorleben wegen geologischer Mängel rufen im Freistaat Kritik hervor.
Rückblick: Im Frühjahr 2011 vollzieht die schwarz- gelbe Bundesregierung unter dem Eindruck der Nu-klearkatastrophe im japanischen Fukushima eine beispiellose energiepolitische Kehrtwende: Das Kabinett Merkel II beschließt das sofortige Aus für acht deutsche Kernkraftwerke und den stufenweisen Ausstieg der Bundesrepublik aus der Kernenergie bis 2022. Bundestag und Bundesrat folgen dieser „Energiewende“.
Mittels Standortauswahlgesetz (StandAG) wird seit 2017 ein geeignetes Endlager für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle gesucht, also abgebrannte Brennelemente sowie hochradioaktive flüssige Abfälle aus der Wiederaufarbeitung. Geologisch kommen dafür die Wirtsgesteine Steinsalz, Tongestein und Kristallingestein in Betracht. Am künftigen Standort soll die Lagerung in einem Bergwerk mit dem Ziel des endgültigen Verschlusses erfolgen. Vorbehalt: Rückholung und Bergung sollen für 500 Jahre möglich bleiben. „Vorhabenträgerin“ für das Standortauswahlverfahren ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE).
Die BGE hat mit der Veröffentlichung „Zwischenbericht Teilgebiete“ am 28. September die Öffentlichkeit formell in die Suche nach einem Endlager einbezogen. Das Dokument zeigt ausgehend vom tiefen geologischen Untergrund auf, welche Gebiete von vornherein aus- oder eingeschlossen werden können. Demnach kommen insgesamt 90 Teilgebiete für die sichere Endlagerung in Frage.
Zwischenstand der Standortauswahl
BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz betont zwar, der Zwischenbericht sei lediglich ein Zwischenstand des Standortauswahlverfahrens. Dennoch finden die Abwägungen neben Befürwortern auch Kritiker.
Während etwa Politiker von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE den Ausschluss des niedersächsischen Salzstocks Gorleben als Erfolg für die Anti-Atomkraft-Bewegung bewerten, wird dies vom Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und dem Bayerischen Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz, Thorsten Glauber (Freie Wähler), kritisiert.
„Das ist kein Ja-Amen-Prozess.“
Nach den Worten von Glauber hat das Auswahlverfahren ohne Gorleben „ein Glaubwürdigkeitsproblem“. Söder zufolge werde die Bayerische Staatsregierung das Auswahlverfahren zwar „sehr konstruktiv und kritisch begleiten“, aber: „Das ist kein Ja-Amen-Prozess.“
Skeptisch zeigen sich auch Spitzenpolitiker aus Südostoberbayern. So bezweifelt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung und Rosenheimer Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU) die Qualität des Zwischenberichts. Das Suchraster sei zu grob, wenn 54 Prozent der Bundesrepublik in Betracht kämen. Und: „Dass man ausgerechnet eines der ältesten Schutzgebiete in Bayern – so etwa die Eggstätter-Hemhofer-Seenplatte – als grundsätzlich geeignet beurteilt, kann ich nicht nachvollziehen und ist nicht akzeptabel.“ Ludwig befürwortet daher eine eigene wissenschaftliche Untersuchung der Bayerischen Staatsregierung und empfiehlt jedermann die Mitwirkung an der „Fachkonferenz Teilgebiete“: „Wir sind alle aufgerufen, uns hier zu beteiligen und im Detail aufzuzeigen, warum ein solches Endlager bei uns nicht denkbar ist.“
Wissenschaft vs. Politik
Kritisch äußert sich auch Stephan Mayer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat und CSU-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Altötting – Mühldorf a. Inn. Mayer wendet sich „gegen ein langes wissenschaftliches Herumstochern“ und gibt sich sicher: „In den dicht besiedelten Gebieten unserer Region wird es niemals ein atomares Endlager geben. Das wird auch wissenschaftlich fest stehen.“ Mayer appelliert, die Bevölkerung dürfe nicht unnötig verunsichert werden. Gleichwohl hält der stellvertretende Ministerpräsident Bayerns, Hubert Aiwanger (Freie Wähler), jahrzehntelange zähe Debatten für möglich. So zeige die Corona-Krise, welchen Einflüssen die Wissenschaft bei der Lösung von gesellschaftlichen Problemen ausgesetzt sei: „Ich glaube, dass am Ende die Wissenschaft wieder politischen Kriterien ausgesetzt ist.“
Immerhin rät der AfD-Landtagsabgeordnete Andreas Winhart bereits, ein Endlager in Südostoberbayern konsequent zu verhindern: „Man versucht hier einen ländlichen Standort nahe der Landesgrenzen ins Spiel zu bringen, damit sich möglichst wenige deutschlandweit davon betroffen fühlen.“ Anstatt die Standortauswahl voranzutreiben solle vielmehr in Technologien wie den Dual-Fluid-Reaktor (DFR) investiert werden. Und ÖDP-Kreisrat Reinhard Retzer aus Lohkirchen unkt: „Wahrscheinlich wird der Müll dorthin kommen, wo die Bevölkerung am wenigsten Widerstand entwickelt. Also: Politisch wird es!“
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