Brüssel/Berlin — Die geplante neue Führerscheinrichtlinie der Europäischen Union soll in den Mitgliedstaaten die Regelungen für den Erwerb und die Gültigkeit von Führerscheinen vereinheitlichen, die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen und die Mobilität der Bürger verbessern. Die vorgesehenen Regelungen führen allerdings in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Reihe drastischer Änderungen, darunter: für Fahranfänger Geschwindigkeitsbegrenzung und Nachtfahrverbot zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens nebst einer Zusatzprüfung für schwere SUV, für ältere Fahrer ab 60 Jahren regelmäßige Fahreignungstests sowie für alle Verkehrsteilnehmer digitale Führerscheine und QR-Codes. Jan Ginhold, Geschäftsführer der CODUKA GmbH und Betreiber des Portals geblitzt.de, kritisiert: „Mit den geplanten Extra-Prüfungen grenzt man Teile der Bevölkerung sozial aus.“
Die Europäische Union (EU) will 2024 eine neue Führerscheinrichtlinie mit teils drastischen Regelungen verabschieden. So soll für Fahranfänger EU-weit eine zweijährige Probezeit eingeführt werden. In dieser Zeit gelten verschärfte Regeln, beispielsweise ein Alkoholverbot von 0,0 Promille und ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Fahranfänger müssten zudem nach einem Jahr einen obligatorischen Nachschulungskurs absolvieren. Die bestehende Probezeitregelung soll dahin gehend geändert werden, dass mit jeder weiteren Klasse eine neue Probezeit beginnt. Da im Vergleich zum leichten Personenkraftwagen (Pkw) ein schwereres Sport Utility Vehicle (SUV) anfälliger für Zusammenstöße wäre, soll das Gesamtgewicht des mit dem Führerschein Klasse B nutzbaren Fahrzeugs auf 4250 kg begrenzt werden. Die Gültigkeitsdauer von Führerscheinen für ältere Fahrer soll ab 60 Jahren auf sieben Jahre verkürzt werden, ab 70 Jahren auf fünf Jahre und ab 80 Jahren auf zwei Jahre. Senioren ab 70 Jahren müssten obendrein alle fünf Jahre eine medizinische Untersuchung absolvieren.
Die neuen Regelungen bezüglich der Einschränkung, Aussetzung oder Entziehung von Fahrerlaubnissen sollen künftig von den Mitgliedstaaten gegenseitig anerkannt werden. Die Novellierung bezweckt überdies, die Verbreitung des digitalen Führerscheins zu forcieren: Bei Polizeikontrollen oder Autovermietungen reicht dann die entsprechende App auf Smartphone oder iPhone. Für die Führerscheinscheckkarte ist ein QR-Code anstelle des heutigen Chips vorgesehen, um ihn „fälschungssicherer“ zu machen.
Die Richtlinie muss noch vom EU-Parlament und dem Rat der Europäischen Union verabschiedet werden. Sobald sie in Kraft ist, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die neuen Regelungen in nationales Recht umzusetzen.
Soziale Ausgrenzung?
Die geplante Novellierung ist aus Sicht der CODUKA GmbH, eines Legal Tech-Unternehmens mit Hauptsitz in der Bundeshauptstadt Berlin, nicht nur impraktikabel, vielmehr kommt sie einer sozialen Ausgrenzung der adressierten Bevölkerungsgruppen gleich. Jan Ginhold, Coduka-Geschäftsführer und Betreiber des Portals geblitzt.de, hält die vorgesehenen regelmäßigen Fahreignungstests für ein absolutes No-Go: „Mit den geplanten Extra-Prüfungen grenzt man Teile der Bevölkerung sozial aus. Denn die davon betroffenen Jungen und Alten haben in der Regel am wenigsten Geld und müssen dennoch in der Lage sein, die nicht gerade günstigen Fahrprüfungen bzw. Eignungstests zu finanzieren.“
Der geplante Zusatzführerschein für SUV würde paradoxerweise sogar die von der EU präferierten Elektrofahrzeuge betreffen, denn einige E-Autos haben aufgrund ihrer schweren Batterien ein Gewicht von mehreren Tonnen: Laut auto-motor-und-sport.de liegen Elektroautos „sehr oft“ über dem Limit von 4,25 Tonnen, „selbst ein VW ID.3 wäre dann aus dem Rennen“, wohingegen die meistverkauften SUV größtenteils unterhalb dieser Gewichtsgrenze lägen (siehe allerdings den Nachtrag unten).
Auslaufmodell Führerschein?
Für Ginhold ist auch die Verschiebung der Gewichtsklassen nicht umsetzbar: „Die EU-Vorschläge sind vollkommen realitätsfern. Wer soll die Einhaltung dieser Vorschriften überhaupt effektiv kontrollieren? Die Polizei ist bereits jetzt überlastet und könnte zusätzliche Kontrollen nicht mehr stemmen.“
Zudem besteht laut Ginhold die Gefahr, dass der Führerscheinerwerb durch die geplanten Maßnahmen für junge Menschen unattraktiv wird: „Insbesondere auf dem Land sind immer noch viele Menschen auf das Auto angewiesen. Warum lassen die Politiker nicht die Finger von der Führerscheinreform und sorgen stattdessen dafür, dass die öffentlichen Verkehrsmittel auch außerhalb der Städte ausgebaut werden?“ So aber stehe Deutschland ein bürokratischer Albtraum bevor mit noch mehr unnötigen Belastungen für die Bürger.
Nachtrag
Die Angabe zum Gewicht des VW iD.3 stammt von auto-motor-und-sport.de selbst. Allerdings weichen deren eigene Angaben auf ihrer Website voneinander ab. So wird für das „Basismodell“ durchaus ein Leergewicht von unter zwei Tonnen wiedergegeben, Stand: 24. Oktober 2023.
Hier zum Vergleich die originale Quelle und drei weitere Quellen zur Gewichtsangabe des Basismodells des VW iD.3 (Pro).
Original Zitat auf ⭱ auto-motor-und-sport.de: „Übersehen hat sie dabei, dass Elektroautos mit ihren schweren Batterien sehr oft über diesem Limit liegen, selbst ein VW ID.3 wäre dann aus dem Rennen.“
Demgegenüber gilt für das Basismodell, Zitat ⭱ auto-motor-und-sport.de: „Gewichte. Leergewicht 1794 kg. Zulässiges Gesamtgewicht 2260 kg. Zuladung 466 kg.“
Und, Zitat ⭱ carwow.de: „Gewicht. Im Vergleich mit Verbrennern der gleichen Fahrzeugklasse bringt der ID.3 ein ganz schönes Gewicht auf die Waage, denn der Akku ist schwer und macht alleine schon rund 500 Kilogramm aus. Da muss man sich sogar wundern, dass der ID.3 noch gut unter 2 Tonnen wiegt. Die Zuladung ist im Vergleich völlig in Ordnung und liegt mit der Konkurrenz auf einer Linie.“
Sowie, Zitat ⭱ chip.de: „Leergewicht 1805 kg. Zulässiges Gesamtgewicht 2270 kg“.
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