Rosenheim — Bund, Länder und Kommunen fördern die Elektromobilität auf verschiedene Weisen, um die Nutzung von Elektrofahrzeugen zu unterstützen und so die Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren. Das Landratsamt Rosenheim und einige Landkreiskommunen kooperieren mit der INNergie GmbH, um eine kleine Fahrzeugflotte mit Stromern von BMW, Mercedes-Benz, Opel und Tesla zu unterhalten. Außerhalb der dienstlichen Nutzungszeit für Behördenmitarbeiter kann die Öffentlichkeit die Fahrzeuge über ein „klimafreundliches Carsharing-Konzept“ mieten. Leitgedanke: „E-Carsharing für die Region – mit 100 % Ökostrom“. Die Resonanz auf das Angebot hat laut Landratsamt Rosenheim „sämtliche Erwartungen übertroffen“ und die INNergie GmbH kennt nach knapp fünf Monaten schon „Stammkunden“. Allerdings hat die Firma ihre Mietpreise im August um über 61 Prozent erhöht und zugleich die Reichweite um 60 Prozent gesenkt. Geschäftsführer Frank Quaas erklärt die Anpassung hauptsächlich mit Steigerungen bei den Energiekosten.
Das Auto ist weiterhin das meistgenutzte Verkehrsmittel in Bayern – und wird es auch bleiben. Denn nach wie vor fehlen Alternativen – vor allem auf dem Land. Selbst Fahrräder sind teilweise bedeutsamer als der ÖPNV. Dies ist das Hauptergebnis der repräsentativen ADAC-Mobilitätsumfrage Bayern 2023 von Mitte Mai. Die Resultate zeigen laut ADAC ein Spannungsfeld zwischen Autobedürftigkeit und Umweltschutz. So steht für die Mehrheit fest: „Mobilitätswandel“ gelingt nur mit Anreizen, nicht mit Verboten – Mobilität muss zwar „nachhaltiger“ werden, darf sich aber nicht verteuern. Und: Der präferierte Antrieb bei einer Neuanschaffung ist Benzin (26 Prozent), gefolgt von Strom oder (Plug-in-)Hybrid (je zwölf Prozent), Diesel (neun Prozent), Wasserstoff (drei Prozent) und Autogas (ein Prozent), wobei 36 Prozent keine Anschaffung planten, zwei Prozent nicht antworteten.
Das von Steffi Lemke, MdB (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), geleitete Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) will indes entsprechend dem Pariser Klimaschutzabkommen und dem Bundes-Klimaschutzgesetz die Treibhausgasemissionen in Deutschland „schnell und drastisch mindern“: gegenüber 1990 bis 2030 um mindestens 70 Prozent und bis 2040 um mindestens 90 Prozent. Dazu müsste unter anderem die Quote der Elektrofahrzeuge (electric vehicles, EV) an neuzugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen (LNF) bei 40 Prozent im Jahr 2025 und bei 85 Prozent im Jahr 2030 liegen.
Doch die Konsumenten halten sich zurück. Eine repräsentative Allensbach-Umfrage im Auftrag von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften hat die Gründe ermittelt: Die Kosten für die Anschaffung eines EV sind zu hoch (Antwort von 71 Prozent der Befragten), es gibt zu wenig Ladestationen (64), Strom ist deutlich teurer geworden (62), die Umweltfreundlichkeit steht in Frage (60), die Reichweite ist zu gering (59), das Aufladen dauert zu lange (54), Batterien und Antriebstechnik sind unausgereift (49), das Stromnetz ist auf eine höhere Zahl an EV nicht vorbereitet (47), die Ladestationen sind oft nicht gut erreichbar und die staatlichen Kaufprämien laufen aus (je 34 Prozent), der Strom stammt nach wie vor größtenteils aus Kohle und Kernenergie (33), das Bezahlsystem ist uneinheitlich (22), die Ladestationen schwierig zu bedienen (20) und EV bieten kein typisches Fahrgefühl (zwölf Prozent).
„Dienstwageneffekt“ zur Akzeptanzförderung
Den „Hochlauf der Elektromobilität“ unterstützen sowohl das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) als auch das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr (StMB). Das BMDV fördert beispielsweise Unternehmen, Vereine und Kommunen bei der Elektrifizierung ihrer Fahrzeugflotten, der Freistaat beteiligt sich an der Finanzierung des Verkehrsangebotes des allgemeinen ÖPNV, das StMB sowie die Bayerische Polizei nutzen selbst Elektrofahrzeuge. Um die Anzahl der EV auf deutschen Straßen zu erhöhen und die Preise attraktiver zu machen, empfiehlt Bundesminister Dr. Volker Wissing, MdB (FDP), zudem den „Dienstwageneffekt“: Danach fungieren Unternehmen als „Innovationstreiber“, die wegen des Mengeneffekts mehr und häufiger Neuwagen bestellen, Mitarbeiter an E-Mobilität gewöhnen und im Weiteren hochwertige Fahrzeuge in den Gebrauchtwagenmarkt bringen.
Fakt: Einer Auswertung der AutoScout24 GmbH zufolge stagnieren die Gebrauchtwagenpreise, blieben im August 2023 im Schnitt aber rund 5.000 Euro über dem Niveau von vor zwei Jahren. Laut Gebrauchtwagen-Preis-Index (AGPI) kostet ein Verbrenner durchschnittlich 28.128 Euro (0,09 Prozent weniger als im Juli 2023), ein EV oder Hybrid 33.861 Euro (-2,2 Prozent) respektive 39.039 Euro (-1,5 Prozent). Dabei wirkt die Krisenkumulation weiter auf den deutschen Automobilmarkt: Corona-Krise, Ukraine-Krise, Migrations-Krise, Energiekrise, Deindustrialisierung und Geldentwertung verunsichern Unternehmen und Konsumenten gleichermaßen. „Respektkanzler“ Olaf Scholz (SPD) mahnte daher auf der Automesse IAA Mobility 2023, der Hochlauf „wird nicht funktionieren, wenn es nicht auch Angebote gibt, die für ganz viele Bürger bezahlbar sind“.
Kommunen als „Innovationstreiber“
Die Kommunen positionieren sich ebenfalls als „Innovationstreiber“, fördern Elektromobilität als Aspekt der „Verkehrswende“ durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur, das Angebot von Parkplatzprivilegien, das Ausweisen von Umweltzonen, die Integration von Elektrobussen in den ÖPNV, das Elektrifizieren der eigenen Fahrzeugflotte, das Betreiben von Informationskampagnen und die Kooperation mit Unternehmen und Energieversorgern bei gemeinsamen Elektromobilitätsprojekten wie etwa E-Carsharing, bei dem Wissings „Dienstwageneffekt“ eintreten soll.
Unter dem Motto „Mieten statt kaufen“ offeriert das Landratsamt Rosenheim gemeinsam mit der INNergie GmbH seit Ende April ein „klimafreundliches Carsharing-Konzept“ mit E-Autos: Auf dem Parkplatz vor der ehemaligen Zulassungsstelle am Landratsamt in Rosenheim stehen vier EV von BMW (je zwei i3/i3s, Basisvarianten ab 39.000 Euro/42.600 Euro), die über die App „MOQO“ der Digital Mobility Solutions GmbH aus Aachen gemietet werden können. Während der Dienstzeiten werden die Elektrofahrzeuge von den Beschäftigten des Landratsamtes im Außendienst „gerne genutzt“, erklärt Pressesprecher Michael Fischer auf Anfrage. Abends sowie an den Wochenenden sind die „mit 100 % Ökostrom“ betriebenen Mittelklassewagen für die öffentliche Nutzung freigegeben.
Solche E-Autos können ebenfalls gemietet werden in den Landkreisgemeinden Oberaudorf, Raubling, Rohrdorf und Stephanskirchen. Die Stadt Kolbermoor bietet zwei EV der Firma Tesla (Model 3/Model Y, Basisvarianten ab 42.990 Euro/44.890 Euro) an, Stephanskirchen einen Opel (Mokka Electric, Basisvariante ab 37.760 Euro). Nach dem Zuspruch befragt, teilt der Geschäftsführer der INNergie GmbH, Frank Quaas, allgemein mit, die EV werden immer öfter genutzt, je länger sie am Standort stehen. Oberaudorf war 2021 die erste Landkreisgemeinde, die einen Mercedes-Benz eVito Tourer mit acht Sitzplätzen bereitstellte (Basisvariante ab 60.678 Euro). Inzwischen hätten sich „Stammkunden“ herauskristallisiert, die das Fahrzeug fest in ihre Abläufe eingeplant haben. Doch: „An den neuen Gemeinden wie Raubling und Rohrdorf muss sich dieser Prozess noch finden.“ Der Tesla spreche eher jüngeres Publikum an, der Mercedes-Benz eher Vereinsmitglieder und Disco-Besucher. Besonders Neulinge müssten aber erst den Umgang mit dem Ladevorgang erlernen, denn viele wüssten nicht, dass dafür eine Ladekarte benötigt wird, die in allen Autos liege.
Neu: höherer Mietpreis – geringere Reichweite
Landrat Otto Lederer (CSU) erklärte Ende Mai, das E-Carsharing-Konzept sei durchdacht, gewinnbringend und ein weiterer Baustein zur klimafreundlichen Mobilität im Landkreis Rosenheim: „Wer sich kein Auto kaufen kann oder möchte und selten fährt, kann sich hier ein Auto mieten – und fährt dank des E-Motors und des Ökostroms damit auch noch klimafreundlich.“ Allerdings hat sich das Angebot vor dem Herbstfest Rosenheim deutlich verändert: Bei Einführung wurde ein Mittelklassewagen wie der BMW i3 für einen Mietpreis von 4,90 Euro pro angefangene Stunde angeboten bei einer inkludierten Reichweite von 50 Kilometern, jeder Zusatzkilometer kostete 29 Cent. Der Tagespreis lag bei 49,90 Euro. Im August stieg der Mietpreis mit einem Male auf 7,90 Euro pro Stunde (+61,22 Prozent), der Tagespreis auf 69,90 Euro (+40,08 Prozent), die eingeschlossene Reichweite pro Stunde wurde auf 20 Kilometer gesenkt (-60 Prozent).
Quaas begründet die Kostenanpassung auf Nachfrage multifaktoriell: „Leider muss auch die INNergie GmbH den wachsenden Kosten Rechnung tragen, vor allem die Energiepreise sind seit 2021 deutlich angestiegen.“ Doch nach Quaas ist der Tagespreis für einen Mittelklassewagen von 69,90 Euro inklusive Versicherung und Treibstoffkosten an nahezu allen Ladepunkten in der DACH-Region „noch immer ein konkurrenzloses Angebot“. Schließlich sei im E-Carsharing-Angebot der INNergie GmbH alles abgedeckt – vom Wischwasser bis hin zu Reifenwechsel und TÜV. Das bedeute für den Nutzer: „Einsteigen und losfahren.“
E-Carsharing wird fortgesetzt
Bereits vier Wochen nach Einführung des E-Carsharing hatte die Resonanz laut Landratsamt Rosenheim „sämtliche Erwartungen übertroffen“. Bilanz zum 9. September, dem „Welttag des Elektrofahrzeugs“: Fischer zufolge verbessert das Angebot „auch weiterhin die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger im Landkreis“, ist „ein spannender Beitrag“, Alternativen zum eigenen Auto zu schaffen. „Dass das Thema sich durchaus einiger Beliebtheit erfreut und nicht nur in der Großstadt funktionieren kann, zeigt sich darin, dass im Landkreis schon diverse Gemeinden mit INNergie zusammenarbeiten und ihren Bürgerinnen und Bürgern dieses Angebot zur Verfügung stellen.“
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