München — Wearables und Fitness-Apps boomen: Die digitalen Gadgets werden als Alltagsbegleiter vermarktet und sollen den Weg zu einem „gesunden Lifestyle“ ebnen. Zweck der „Selbstvermessungstechnologien“: Smartwatches, Fitnessarmbänder sowie Applikationen für Smartphones und iPhones messen sportliche Leistung und körperliche Gesundheit, visualisieren die von ihnen gesammelten Daten, um Training, Ernährung und Schlafqualität zu optimieren. Das weckt Begehrlichkeiten. Manche Unternehmen überwachen bereits die Aktivität ihrer Mitarbeiter, Versicherungsdienstleister setzen das Self-Tracking für Bonusprogramme ein und gesetzliche Krankenkassen zeigen Interesse an diesem Geschäftsmodell. Was die digitalen Tools bringen und welche Trends sich ankündigen, das erklärt Alexander Kuttig, Co-Founder und Geschäftsführer der Münchener Teamfit GmbH, welche die gleichnamige Social Fitness App anbietet, die im Unternehmenskontext eingesetzt werden kann.
In der Fitness- und Gesundheitsbranche werden seit der Corona-Krise immer mehr „digitale Gadgets“ eingesetzt. Die behördlich angeordneten Mobilitäts- und Kontaktbeschränkungen, die Zwangsschließungen von Sportstätten und Fitnessclubs sowie der Zug ins Homeoffice haben die Suche nach flexiblen Alternativen verstärkt, um dennoch sportlich aktiv und körperlich gesund zu bleiben. So hat nach Angaben des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) die Zahl der Läufer während der Corona-Krise zugenommen mit dem Ziel, Krankheiten zu vermeiden, das Immunsystem zu stärken und Bewegungsmangel vorzubeugen. Zugleich boomen „Wearable Computing Devices“, kurz: Wearables, also am Körper tragbare elektronische Kleingeräte wie „Wristwear“ in Form von Smartwatches und Fitnessarmbändern sowie Applikationen respektive Apps für Android und iOS. Sie messen Körperfunktionen, bewerten Gesundheitsdaten, empfehlen Workouts und erstellen Trainingspläne, die bei beschränktem Budget auch zuhause leicht umsetzbar sein sollen.
Nach einer Marktanalyse der International Data Corporation (IDC) steigen die Absatzzahlen von Wearables, von denen 2023 rund 498 Millionen Stück verkauft werden könnten, wobei sich die einzelnen Segmente unterschiedlich entwickelten: Während Smartwatches im unteren zweistelligen Prozentbereich wachsen dürften, verbleibe der Absatz von Fitnessarmbändern im mittleren einstelligen Bereich. Und laut dem „Statista Digital Market Outlook“ könnten 2024 in Deutschland insgesamt 18,3 Millionen Anwender Fitness-Apps nutzen, fast eine Verdopplung im Vergleich zum Jahr 2017 mit damals 9,7 Millionen Anwendern.
Datenerfassung und Datenschutz
Wurden vor wenigen Jahren nur einige persönliche Messwerte in Echtzeit getrackt wie etwa Schrittzahl, Kalorienverbrauch, Schlafdauer und -qualität, so wird mittlerweile eine Vielzahl traditionell intimer Werte erhoben – von Puls, Herzfrequenz und Körpertemperatur über Hautleitfähigkeit, Aufenthaltsort und Nutzungsverhalten bis hin zu individuellen Bedürfnissen und Zielen des Nutzers. Da ihre Kombination vielfältige Rückschlüsse zulässt, ist das Interesse externer Akteure an den sensiblen Gesundheitsdaten groß. Der Erhebung setzen aber sowohl das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) als auch die Europäische Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) enge Grenzen.
Dabei beginnt die Datenerfassung schon mit der Einrichtung: Der Nutzer legt ein Online-Konto beim Anbieter an, gibt personenbezogene Daten preis, akzeptiert die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und die Datenschutzerklärungen. Darüber hinaus ermittelte die Verbraucherzentrale aber noch im ersten Jahr der Corona-Krise 2020, dass 20 der 24 untersuchten Fitness-Apps zahlreiche Nutzerdaten an die Anbieter verschickten, obschon kaum einer der geprüften Anbieter die Verbraucher in seinen Datenschutzerklärungen ausreichend über die genaue Verwendung der gespeicherten Daten informierte. In ihrer repräsentativen Befragung äußerten daher 78 Prozent der Befragten besorgt, keine Kontrolle über die online preisgegeben Daten zu haben.
Messgenauigkeit und Motivation
Darüber hinaus ist die Messgenauigkeit der Tools durchaus unterschiedlich: „Je nachdem, wie ich zum Beispiel meine Schritte tracke, also mittels Smartphone, Smartwatch oder Fitnessarmband, komme ich am selben Tag auf 6.000 bis 11.000 Schritte“, erklärt Alexander Kuttig, Co-Founder und Geschäftsführer der Münchener Teamfit GmbH, die mit ihrer gleichnamigen App zu mehr Sport auch im Gruppenverbund motivieren will. Der Unterschied liege teilweise an den verschiedenen Rahmenbedingungen – das Smartphone sei oft in der Hosentasche, die Smartwatch werde am Arm getragen – und an der jeweiligen Sensorenverarbeitung. Am Ende ginge es dem Experten zufolge aber weniger um ein exaktes Ergebnis, als vielmehr um einen Näherungswert und den Vergleich der Aktivitätstage. Deswegen sollte besser ein Gerät dauerhaft eingesetzt werden.
Besonders sinnvoll für die Überwindung des „inneren Schweinehundes“ und zur Motivation von „Sportmuffeln“ findet Kuttig eine Kombination aus digitalem Ansporn und Teamgeist. Wer zum Beispiel seine Fortschritte mit einer Smartwatch festhalte, könne die Daten in Apps wie „Teamfit“ einspielen und mit anderen teilen. „Die Aktivität wird zwar meist alleine durchgeführt, allerdings entsteht durch die gemeinsame Aufgabe ein starkes Wir-Gefühl“, so Kuttig. Die Benachrichtigung auf dem Smartphone, dass die Kollegen gerade ein Workout absolviert haben, motiviere oftmals mehr als jede App. Dementsprechend bewirbt Teamfit seine App „als ganzjähriges und ganzheitliches Tool für Teambuilding und digitales Gesundheitsmanagement“. Ein weiteres wirksames Tool seien laut Kuttig digitale Waagen. Diese veranschaulichten den detaillierten Gewichtsverlauf und zeigten im Idealfall noch Richtwerte zum Körperfettanteil.
Virtuelle Sportwelten
Während Wearables längst mit Features wie Bezahlfunktion, MP3-Player und Telefon aufwarten, geht ein anderer Trend Richtung „Virtual Reality“ (VR), was ganz neue Sportarten und Trainingsmethoden ermöglicht. Beispiel: Die Ganzkörper-Trainings- und Rehabilitationsgeräte des Münchener Unternehmens ICAROS, die VR-Technologie mit Gamification kombinieren und Extremsportarten in virtuellen Landschaften wie den Dolomiten simulieren. Kuttig zufolge können auch Aktivitäts- und Ernährungspläne mittels Künstlicher Intelligenz (KI) generiert werden: Die KI ziehe individuelle Leistungsdaten und Gewohnheiten heran wie übliche Trainingszeiten und Sportarten sowie die angestrebten Ziele, um als virtueller Personal Trainer Übungen vorzuschlagen.
Trotz aller Digitalisierung wird Sport mit Freunden oder Kollegen aber nicht so schnell obsolet, meint Kuttig: „Das Feedback unserer Nutzer ergab, dass die Kombination aus digitalen Trackern und Apps mit der gemeinsamen Aktivität in der Gruppe nach wie vor am besten ankommt.“ Zugleich sieht er Aufholbedarf bei der digitalen Fitness öffentlicher Stellen: „Interessant wird sein, ob Arbeitgeber und Krankenkassen zusätzliche Anreize setzen, zum Beispiel geringere Beiträge oder finanzielle Boni, wenn man die WHO-Empfehlung für 150 Minuten Sport pro Woche erreicht oder regelmäßig über 8.000 Schritte pro Tag geht.“ Beides ist aus seiner Sicht sinnvoll, da sich mit mehr Bewegung die Gesundheitskosten nachhaltig senken ließen.
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