Abwicklung von Sportvereinen „deutliches Zeichen“ – Eckleder: „Übernehmen Sie Verantwortung!“
Collage: Manuela Grassl
Prosepkt Box

Abwicklung von Sportvereinen „deutliches Zeichen“ – Eckleder: „Übernehmen Sie Verantwortung!“

München / Mühldorf a.Inn — Das „Ehrenamtsland Bayern“ fördert das bür­ger­schaft­li­che En­ga­ge­ment mit Ehren­amts­karte, Ehren­amts­nach­weis, Ehren­amts­ver­si­che­rung und durch zwei Stif­tun­gen: die „Zukunfts­stiftung Ehrenamt Bayern“ und die „Deutsche Stiftung Engagement und Ehrenamt (DSEE)“. Im Frei­staat ver­dankt der Sport seine At­trak­ti­vi­tät ferner ei­nem viel­fäl­ti­gen und flä­chen­de­cken­den An­ge­bot, das ohne ehren­amt­lich en­ga­gier­te Mit­glie­der un­vor­stell­bar ist, heißt es im Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­rium des Innern, für Sport und In­te­gra­tion. Gleich­wohl kon­sta­tiert Bun­des­prä­si­dent Frank-Walter Steinmeier: „Das klas­si­sche Ehren­amt altert, Ver­ant­wor­tung ver­teilt sich auf we­ni­ger Schul­tern.“ Ein dras­ti­sches Bei­spiel da­für mag die Ab­wick­lung des 1961 ge­grün­de­ten und ehe­mals be­deut­sa­men Eisen­bahner Sport­verein Mühldorf am Inn sein. Christian Eckleder, Vor­stands­mit­glied vom Sport­kreis Mühldorf des Baye­ri­schen Lan­des­sport-Ver­ban­des ap­pel­liert da­her, sol­che Li­qui­da­tio­nen als „deut­li­ches Zei­chen an alle Bür­ger“ zu ver­ste­hen.

Die letzte Aktualisierung auf der Website datiert vom 17. Au­gust 2018, der letz­te Tweet stammt vom 11. April 2019, der letzte Ein­trag auf Facebook ist vom 2. Juli 2021: Beim „Eisenbahner Sportverein Mühldorf am Inn e. V. (ESV)“ ist sinn­bild­lich der Trieb­wa­gen stehen ge­blie­ben. Zeit­wei­lig zählte der 1961 ge­grün­de­te ESV knapp 600 Mit­glie­der, bot dut­zen­de Sport­ar­ten an, ge­stal­te­te das Ge­mein­schafts­le­ben mit und or­ga­ni­sier­te über den „Eisenbahnerkonfetti-Club (EKC)“ Stark­bier­feste, Faschings­zug­teil­nah­men und ESV-Tanz­bälle. In der Haupt­sport­art Fußball tra­ten im ge­re­gel­ten Spiel­be­trieb zwei Herren­mann­schaf­ten an, be­strit­ten span­nen­de Matches. Be­acht­lich auch das Sport­ge­län­de an der Adolf-Kolping-Straße in Mühldorf mit Fußball­platz, Trainings­platz, Kinder­spiel­feld, zwei Beach-Volleyball-Plät­zen, drei Tennis­plätzen, Turn­halle und Sport­gast­stätte ein­schließ­lich vier voll­au­to­ma­ti­scher Kegel­bah­nen. Doch der Nach­wuchs blieb aus, die Mit­glie­der­zahl sank auf 80, dar­un­ter we­ni­ger als die Hälfte Ei­sen­bah­ner, die Ab­tei­lun­gen wur­den ab­ge­mel­det, die Un­ter­halts­kos­ten wa­ren nicht mehr trag­bar. Bis Jahres­ende li­qui­die­ren die Vor­stän­de Hans Schaffer und Waldemar Heymann schwe­ren Her­zens den Sportverein.

Eine „traurige, schockierende und niederschmetternde Nachricht“ nennt Christian Eckleder, Vor­stands­mit­glied vom Sport­kreis Mühldorf des Baye­ri­schen Lan­des­sport-Ver­ban­des e. V. (BLSV) und Ge­schäfts­in­ha­ber des Per­so­nal­dienst­leis­ters Jobadler, die Ab­wick­lung. Je­der auf­ge­lös­te Sport­verein, je­de ab­ge­mel­de­te Ab­tei­lung sei ein Ver­lust für die Ge­sell­schaft. Kein Sport­verein sei da­ge­gen ge­feit. Ur­säch­lich seien Corona-Krise, Digitalisierung, Berufs­leben und fi­nan­ziel­le Aspekte. „Aber die größ­te, schwer­wie­gends­te und gra­vie­rends­te Lücke sowie Pro­ble­ma­tik ist das feh­len­de En­ga­ge­ment zum Ehrenamt im Sport“, diag­nos­ti­ziert Eckleder.

Sportehrenamt: gesamtgesellschaftlich bedeutsam

Dabei ist die Bedeutung des Sportehrenamts hoch. Nach An­ga­ben des Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­ri­ums des Innern, für Sport und In­te­gra­tion sind mit zehn Pro­zent die meis­ten ehren­amt­lich en­ga­gier­ten Bürger im Ver­eins­sport tä­tig. Das Sport­ehren­amt sei zu­dem in allen Alters­schich­ten ver­an­kert und er­mög­li­che „ei­nen Dia­log der Ge­ne­ra­tio­nen so­wie di­ver­ser so­zia­ler und eth­ni­scher Grup­pie­run­gen“. Da­mit leiste dieses En­ga­ge­ment „als Aus­druck des Selbst­ver­ständ­nis­ses bür­ger­schaft­li­chen ge­mein­wohl­orien­tier­ten Han­delns ei­nen we­sent­li­chen Bei­trag zu dem, was den Sport als ‚so­zia­len Kitt‘ un­se­rer Ge­sell­schaft kenn­zeich­net“. Alleine die rund 120.000 ehren­amt­li­chen Vor­stands­mit­glie­der wür­den mo­nat­lich eine Ar­beits­leis­tung von fast zwei Mil­lio­nen Stun­den er­brin­gen. Hin­zu kämen nahezu 90.000 In­ha­ber von Fach­übungs­leiter­li­zen­zen, die den Übungs­be­trieb für Kinder, Ju­gend­liche, Er­wach­se­ne und Senioren Tag für Tag breiten- und leis­tungs­sport­lich sicherstellten.

Die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für das Ehrenamt, Eva Gottstein, MdL (Freie Wähler), be­zeich­net die ge­samt­ge­sell­schaft­li­che Be­deu­tung der Sport­ver­eine auch mit Blick auf die Ge­sund­heit als „immens“. Und In­nen­mi­nis­ter Joachim Herrmann, MdL (CSU), kon­sta­tiert: „Corona hat den or­ga­ni­sier­ten Sport­be­trieb zeit­weise zum Er­lie­gen ge­bracht. In der Folge haben sich viele Kinder in Bayern deut­lich we­ni­ger bewegt und we­ni­ger Sport ge­macht. Manche sind auch von ihren Eltern aus den Sport­ver­ei­nen ab­ge­mel­det wor­den. Dieser Mangel an Be­we­gung hat teils gra­vie­ren­de ge­sund­heit­li­che Auswirkungen.“

Ehrenamt: systemrelevant

Gleichwohl mehren sich die Anzeichen für eine allgemeine Fatigue. So mahnt Bun­des­prä­sident Frank-Walter Steinmeier (SPD), das „Lob aufs Ehrenamt“ dürfe nicht mehr nur Sache von Sonn­tags­re­den sein: „Fakt ist: Das klas­si­sche Ehren­amt altert, Ver­ant­wor­tung ver­teilt sich auf we­ni­ger Schul­tern. Da­bei ist der Ein­satz für andere – gerade in den Zeiten des Ge­gen­winds – un­ver­zicht­bar! Oder ich könnte sagen: sys­tem­re­le­vant! Eben des­halb müs­sen wir neue Wege fin­den, wie wir Ent­frem­dung ent­ge­gen­wir­ken, un­se­re Ge­sell­schaft, un­se­ren Ge­mein­sinn stärken.“

Für Sportfunktionär Eckleder ist indes klar: „Es braucht Men­schen, die sich selbst in der Ver­ant­wor­tung se­hen, die sport­li­che Ge­mein­schaft zu un­ter­stüt­zen, zu be­treuen, zu hel­fen oder auch zu trai­nie­ren.“ Kinder und Ju­gend­li­che bräuch­ten neben ihren Eltern, Ver­wand­ten und Leh­rern eine Be­zugs­per­son für die frei­zeit­li­che sport­li­che Ge­stal­tung, quasi eine Familie neben der Familie. Sport präge den Cha­rak­ter, ver­mit­tele Fairness, Teamplay, Mo­ti­va­tion, Dis­zi­plin, Pflicht­be­wusst­sein, Hilfs­be­reit­schaft, Ziel­ver­fol­gung. Und für viele ältere Per­so­nen sei es von enormer Wich­tig­keit, Teil eines Teams zu sein. Daher ap­pel­liert Eckleder: „Die Sport­ver­eine und Sportler sind auf Ihre Hilfe an­ge­wie­sen! Mit einem Ehren­amt im Sport haben Sie die Chance, ihre per­sön­li­chen Stär­ken und Vor­stel­lun­gen um­zu­set­zen. Führen, Leiten und Be­glei­ten Sie viele Sportler und deren Vereine zu mehr Erfolg, Spaß, Freude und Teamspirit.“

Dr. Olaf Konstantin Krueger

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