Bahnausbau ABS 38: „Es muss weitergehen“
V.l.: Elke Christian (Abteilungsleiterin für die Regionen bei der IHK), Herbert Prost (Leiter der IHK-Geschäftsstelle Mühldorf), Ingrid Obermeier-Osl (Vorsitzende des HK-Regionalausschusses Altötting-Mühldorf sowie IHK-Vizepräsidentin), Peter von Zumbusch (Werkleiter der Wacker Chemie in Burghausen) und Alexander Pawlik (Gesamtprojektleiter ABS 38). Foto: IHK
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Bahnausbau ABS 38: „Es muss weitergehen“

IHK-Regionalausschuss Altötting-Mühldorf beschäftigt sich erneut mit dem Bahnausbau ABS 38 – Projekt-Leiter Pawlik will endlich für Resultate sorgen.

Die Agenda las sich ganz harmlos. „Verzögerung Bahnausbau ABS 38: Information und Diskussion“ – das war der Schwerpunkt der Sitzung des IHK-Regionalausschusses Altötting-Mühldorf am 14. September. Welche Brisanz in dem Thema steckt, zeigte aber schon der Tagungsort: die Wacker- Werke in Burghausen. Die beiden großen Themen der Ausschussarbeit sind untrennbar miteinander verknüpft: der zweigleisige und elektrifizierte Ausbau der rund 150 Kilometer langen Schienenstrecke von München über Mühldorf nach Freilassing und der Erhalt des sogenannten Chemiedreiecks in Südostbayern.

Schockwellen für die regionale Wirtschaft
Schon im Frühjahr dieses Jahres hatte sich der Regionalausschuss intensiv mit dem Thema ABS 38 beschäftigt. Anlass war Ende März die Mitteilung der DB Netz, die Inbetriebnahme der Ausbaustrecke verschiebe sich auf unabsehbare Zeit. Das hat Schockwellen in der Region ausgelöst. Die Bahn hatte als Termin 2030 fest zugesagt, so lautete auch die Zeitvorgabe im Bundesverkehrswegeplan. Eine Hiobsbotschaft für Südostbayern – und sie kam zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Wenige Tage nach Beginn des Ukraine-Krieges zeichnete es sich ab, dass die Energie- und Rohstoffpreise durch die Decke gehen. Ein Risiko für die Chemieindustrie in der Region, das durch den Stillstand beim Bahnausbau verschärft wird. „Es sieht düster aus“, sagte damals die Ausschussvorsitzende Ingrid Obermeier-Osl. Entsprechend scharf war der Protest der Industrie. BASF erklärte, die Verzögerung bei der ABS 38 gefährde die Versorgung „unseres Standorts Trostberg und unserer Kunden“.

Der in Burghausen ansässige österreichische Konzern OMV warnte vor einem Wettbewerbsnachteil im Kampf um Fachkräfte und Transportkapazitäten. Wacker Chemie erklärte, solange man nur eine eingleisige und nicht-elektrifizierte Bahnstrecke habe, sei eine weitere Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene ebenso unmöglich wie das, was die Bundesregierung wolle: der Einstieg in eine klimaneutrale Transportlogistik.

Für die Industrie ist das ein Wachstumshemmnis
Nach Angaben der Bahn sorgen die 20 Unternehmen des Chemiedreiecks schon heute für acht Millionen Tonnen Güterverkehr pro Jahr. Die Wirtschaftsinitiative ChemDelta Bavaria erwartet, bis 2030 werde der Schienengüterverkehr um mehr als 70 Prozent steigen. Ohne Schienenausbau sei das nicht mehr zu stemmen. Kurz: Aus Sicht der Industrie ist die Verzögerung bei der ABS 38 ein Desaster, ein Wachstumshemmnis. Was das Ganze komplett absurd macht: Die ABS 38 soll auch der Testlauf sein für ein Gesetz, mit dem künftig bundesweit alles schneller gebaut werden soll – Brücken, Stromtrassen, Eisenbahnstrecken. Dieses Gesetz nennt 13 Schienen- und drei Trassenprojekte, die beschleunigt werden sollen. Ganz oben auf der Liste steht die ABS 38.

Das sogenannte Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz stammt aus dem Nachlass von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Die Idee: Das Bundesverkehrsministerium kann entscheiden, dass der Bundestag per Gesetz ein Bauprojekt genehmigen kann. Dann entfällt der übliche Planfeststellungsbeschluss und die Klagewege über die Verwaltungsgerichte.

Bahn und Regierung geben sich gegenseitig die Schuld
Warum im Fall der ABS 38 aus der Beschleunigung eine Verzögerung wurde – dafür geben sich Bahn und Bundesregierung gegenseitig die Schuld. Der damalige Eisenbahnbeauftragte der Bundesregierung, Enak Ferlemann (CDU) betonte, es könne nicht an dem neuen Verfahren liegen. Die Bahn mache häufig Planungsfehler und habe die Option eines normalen Planfeststellungsverfahrens gehabt. Auf der Frühjahrssitzung des IHK-Regionalausschusses schilderte Klaus-Peter Zellmer, der damalige Bahn-Projektleiter für die ABS 38, den Sachverhalt komplett anders. Gerade weil man mit der Planung „so weit wie nie“ gewesen sei, habe man versucht, die ABS 38 aus dem Gesetz zu bekommen.
Das Bundesverkehrsministerium habe das verweigert, weshalb man gezwungen sei, Planungsschritte noch einmal zu wiederholen. Schlechter kann das Teamplay von Bahn und Regierung kaum noch sein. Was die ABS 38 zudem ausbremst, ist der Personalmangel beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA). Die Bahn beziffert den Zeitverlust mit 18 Monaten. Weitere zweieinhalb Jahre wird es dauern, bis das Projekt als Einzelgesetz rechtssicher im Gesetzblatt steht.
Umstritten auch die Entscheidung des Ex-Verkehrsministers Scheuer vom August 2021, eine Eisenbahnüberführung in Weidenbach in das Projekt aufzunehmen. Laut Bahn kostet das drei bis vier Jahre Planungszeit zusätzlich. Scheuer und der Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer (CSU) sahen das anders. Demnach hat dieser Schritt sogar Zeit gespart, weil die Überführung Klagen der betroffenen Anwohner verhindert.

Region wartet seit 30 Jahren auf Schienenausbau
Letztlich spielt die Schuldfrage für die Unternehmer der Region keine Rolle. Sie warten seit 30 Jahren auf den Schienenausbau und die Bahn-Anbindung an den Münchner Flughafen. Folglich hat sich der IHK-Regionalausschuss klar positioniert. Keine weitere Verschiebung des Schienenausbaus mehr, man will einen „verbindlichen Zeitplan“ für das Projekt einfordern. Das hat man im Frühjahr einstimmig beschlossen.
Obermeier-Osl hat es dabei nicht belassen. Sie hat bei den Verantwortlichen bei Bahn und Politik nachgehakt und nachgefragt. Die Sitzung in Burghausen sollte den Unternehmern Klarheit über den Projektstand verschaffen. Die IHK hatte dafür den entscheidenden Mann eingeladen: Alexander Pawlik. Er hat am 1. April dieses Jahres bei der DB Netz die Leitung für die ABS 38 übernommen.

Sorge, dass das Projekt nie mehr kommt
Vor Beginn der Sitzung erklärte Obermeier-Osl in einem Interview, weshalb sie bei dem Thema nicht locker lässt. Sie sagte, es bestehe das Risiko, dass die ABS 38 überhaupt nicht kommt. Die besten Jahre habe man verpasst. Nun stiegen die Zinsen, die Baukosten, die sich abzeichnende Rezession werde Steuereinnahmen kosten. Es sei zu befürchten, dass am Ende das Geld nicht mehr reiche. Diese Sorge teilen auch andere.
Auf dem Verkehrspolitischen Dialog der bayerischen IHKs im Juli in Nürnberg, klagten Verkehrsexperten, das Geld, das der Bund für Schienenprojekte habe, reiche niemals für alle Vorhaben aus. Markus Lötzsch, Chef der IHK Nürnberg, befürchtet ebenso wie bayerische Landtagsabgeordnete, dass für die rund acht Milliarden teure zweite S-Bahnstrecke in München regionale Schienenprojekte geopfert werden. Obermeier-Osl will verhindern, dass die ABS 38 auf die Streichliste rutscht.
Wie dringend die Industrie den Schienenausbau braucht, erklärte Peter von Zumbusch, Ausschuss-Mitglied, Leiter des Wacker- Werks und Gastgeber der Sitzung, sehr klar bei einer Bus-Rundfahrt über das Wacker-Gelände. Seinen Worten zufolge verbraucht Wacker horrend viel Strom – gut drei Terrawatt pro Jahr, das entspricht etwa dem Verbrauch einer Großstadt. Bislang hat Wacker die hierzulande hohen Stromkosten abfedern können, weil das Werk die Hälfte seines Stromverbrauchs selbst decken kann – mit Wasserkraft und Gas. Wacker muss sein Öl aus Hamburg beziehen „Wenn uns Putin das Gas dauerhaft abdreht, können wir auf Öl umstellen“, sagte Von Zumbusch. Klingt einfach, ist aber derzeit ein Problem. Aus Österreich kommt nichts. Die benachbarten OMV- Raffinerie steht wegen Wartungsarbeiten still. Wegen eines Unfalls in einem anderen OMV-Werk musste Österreich sogar seine nationale Ölreserve angreifen.

Wacker muss sein Öl in Hamburg einkaufen
Das Werk braucht davon zwei Güterzüge wöchentlich. Wegen der schlechten Schienenanbindung erreichen diese Züge Burghausen nicht. Sie müssen bis Kiefersfelden fahren. Dort muss das Öl in Tankwagen umgefüllt und nach Burghausen gefahren werden. Problem Nr. 2: Für die Mengen an Öl reichen die Kapazitäten in Kiefersfelden nicht. Ein logistischer Albtraum. Nun keimt zumindest die Hoffnung, dass dieser Albtraum endet. Obermeier-Osl konnte auf der Sitzung Erfolge vermelden. So hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in einem Antwortschreiben versichert, er werde alles in seiner Macht stehende tun, um die ABS 38 voranzubringen.

Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) sagte ebenfalls seine Unterstützung zu. Man werde von der Bundesregierung eine rasche Realisierung fordern. „Wir sind zu spät dran“ Klingt alles gut. Obermeier-Osl wollte von Projektleiter Pawlik wissen, ob die Dinge schon in Bewegung seien. Ein Bahn-Chef halte die Inbetriebnahme der Strecke 2032 bis 2033 für möglich. „Vielleicht hören wir heute von Ihnen, dass es schon 2028 geht“, wünschte sich die Vorsitzende. Ein fixes Datum wollte Pawlik nicht nennen, aber er machte seine Sache gut. Er gab offen zu, dass das Projekt bislang nicht rund lief („Wir sind zu spät dran“), versicherte aber, nun werde richtig Gas gegeben. Pawlik forderte, was die Unternehmer gerne hörten: „Es muss weitergehen“. Seine Strategie lautet, weitere Konflikte vermeiden. Deswegen sucht Pawlik das Gespräch mit betroffenen Bürgern, Bürgermeistern und Landräten, deshalb gibt er den Widerstand gegen das Beschleunigungsgesetz auf. Pawlik will Zeit gewinnen mit einem Verfahrenstrick. Er baut darauf, dass man nicht für alle 16 Planungsabschnitte der ABS 38 eine Einzelfallentscheidung braucht.

Schon 2026/2027 soll der Bau beginnen
Pawlik will Genehmigungsprozesse vereinheitlichen. Auf den Abschnitten, wo man planungstechnisch schon sehr weit sei, soll 2026/2027 der Bau beginnen. Wenn alles gut läuft, so seine Rechnung, könnte die Strecke vor 2035 in Betrieb gehen. Obermeier-Osl fragte den Schienen-Optimisten, was die regionale Wirtschaft tun könne, um das Ganze zu beschleunigen. Pawlik antwortete, dank ihrer Initiative habe der Ausschuss schon viel bewegt. „In Berlin hat man erkannt: Da ist ein Problem“, sagte Pawlik. Er riet Obermeier-Osl dazu, weiter politischen Druck zu machen. Auf Nachfrage der Unternehmer versicherte Pawlik, er habe genug Personal und Mittel um die ABS 38 zum Abschluss zu bringen. Hermann Jäger nannte ein zweites Schienenprojekt, bei dem man hinterherhinke: Den Ausbau der Strecke Wels – Braunau zur Entlastung der Trasse München – Salzburg. „
Die Österreicher bauen schon“, sagte Jäger. Pawlik erklärte, man habe auf deutscher Seite den entsprechenden Ausbau der Strecke Mühldorf – Simbach voll auf dem Schirm. Allerdings befinde man sich hier noch im Stadium der Vorplanung. Das Hauptinteresse der Journalisten galt dem Tagesordnungspunkt zwei: „Tischumf rage: Aktuelle Situation in den Unternehmen – was bringt der Herbst?“ Fasst man die Wortmeldungen der Unternehmer zusammen, ergibt sich ein differenziertes Bild. Noch ist die Lage der Unternehmen und Branchen deutlich besser als die öffentliche Stimmung. Die befürchtete Insolvenzwelle ist bislang ausgeblieben. Weil viele Unternehmen langfristige Lieferverträge mit ihren Energieversorgern haben, ist die eigentliche Kostenexplosion bei den meisten Betrieben noch nicht angekommen. Es ist die Unsicherheit, die den Betrieben zu schaffen macht.

„Die Regierung schürt jeden Tag Panik.“
Dafür machten die Unternehmer Medien und Bundesregierung verantwortlich. Hotelchefin Christine Christ kritisierte, man könne eine Krise auch herbeireden und -schreiben. Angesichts der Katastrophen-Stimmung, die einige Medien verbreiteten, dürfe man sich nicht wundern, wenn die Leute abends nicht mehr zum Essen gingen. Ob Kernkraft oder Gas-Umlage – nach Ansicht der Unternehmer trägt der Schlingerkurs der Ampel- Koalition nicht dazu bei, Vertrauen aufzubauen. „Die Politik hat den Mittelstand überhaupt nicht auf dem Schirm“, kritisierte Andreas Ganzbeck. Auch Hermann Jäger meinte, Berlin mache das Gegenteil von dem, was es tun sollte: „Die Regierung schürt jeden Tag Panik.“

Die Vorsitzende Obermeier-Osl nannte drei Punkte als Fazit der Sitzung. Was die Unternehmen derzeit am dringendsten bräuchten, sei als erstens Planungssicherheit. „Wir brauchen eine verlässliche Energiepolitik. Dafür kann nur die Bundesregierung sorgen“, stellte die Unternehmerin fest. Zweitens litten die Entlastungsprogramme der Bundesregierung unter einem Webfehler. „Die Zulagen gehen vorrangig an Menschen, die keine Arbeit haben“, kritisierte die Ausschuss-Vorsitzende. Man müsse aber auch die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter fördern. Drittens schließlich dürfe man trotz aller Schwierigkeiten die Zuversicht nicht verlieren. „Wenn wir mit Freude und Optimismus die Probleme angehen, können wir gerade hier bei uns in Südostbayern viel bewegen“, sagte Obermeier-Osl.     Martin Armbruster

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