Big Data in der Mobilität: „Ich hoffe, dass mein Auto diskret ist!“
Foto: Tayeb Mezahdia
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Big Data in der Mobilität: „Ich hoffe, dass mein Auto diskret ist!“

Ob beim Surfen im Netz oder beim Senden einer Mail, jeder Anruf mit dem Smartphone, jede App, die wir benutzen – der Mensch hinterlässt Spuren. Autos auch. Deren Systeme kennen nicht nur Position und Bewegung des Fahrzeugs, sondern auch dessen technischen Zustand. Sie halten mit ihrem Wissen auch nicht hinter dem Berg, wenn es um den Fahrer, sein Verhalten, seine Aufmerksamkeit oder Müdigkeit geht. Der Albtraum von Experten: Immer mehr dieser Mobilitätsdaten werden untereinander und mit externen Kontextdaten verknüpft und für immer mehr unterschiedliche Zwecke genutzt.

In Berlin hat gerade ein Tesla seinen Fahrer verpfiffen. Die vier Kameras hatten sein Rennen durch die Innenstadt, den Überschlag des Tesla und die Flucht seines Fahrers im Bordcomputer festgehalten – für den raschen Zugriff der Polizei. Nun ist das ein zwar reales, aber doch nicht alltägliches Geschehen. Aber schon die Tatsache, dass wir uns heute über einen solchen Fall eher amüsieren, zeigt, wie sehr sich die Einstellung geändert hat. Vor zwei Jahrzehnten noch wurde erbittert um den Unfalldatenschreiber gerungen, der die fahrdynamischen Daten 30 Sekunden vor dem Unfall aufzeichnen sollte. Damals war die Meinung weit verbreitet: Was im Auto geschieht, bleibt im Auto. Und es wurde still um den Unfalldatenschreiber.

Schleichend und leise hat sich das verändert. Die Menschen betrachtet ihr Auto nicht mehr als den uneinnehmbaren privaten Raum. Wie sehr das Auto heute „gläsern“ wird, zeigte jetzt die von der HUK-Coburg geförderte Studie „Big Data in der Mobilität“ für das Goslar Institut, die Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern. Die Menge und Vernetzung dieser Daten werde besonders beim Auto unterschätzt, erklärten die Verfasser der neuen Studie jetzt beim diesjährigen Goslar Diskurs, der auch dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie nur virtuell stattfand. Die Studie basiert auf einer mehrwöchigen Beobachtung einer Gruppe von Verkehrsteilnehmern und ihren Datenspuren durch Experten aus Politik, Wirtschaft, Medien, Verbänden und der Wissenschaft.

Vom Kopf auf die Füße

Im Vergleich mit der ersten Studie des Goslar Instituts zur „Big-Data-Debatte“ von 2019 stellen die Verfasser nun jedoch fest, dass inzwischen nicht mehr ein überwiegend „düsterer Blick“ auf Big Data in der Mobilität vorherrscht, wie die Mitautorin der Untersuchung, Prof. Dr. Susanne Knorre von der Hochschule Osnabrück, ausführte. Vielmehr sei der Blick nun vor allem auf die Chancen gerichtet. „Damit dreht sich die Datenschutzthematik vom Kopf auf die Füße“, sagte Knorre. Jetzt werde zuerst danach gefragt, was man mit den vorhandenen Daten machen könne und welcher gesellschaftliche sowie individuelle Nutzen entstehe. Erst danach werde geprüft, wie dieser Nutzen datenschutzkonform zu realisieren ist.

Digitale Services in der Mobilität sind für Menschen unterdessen sehr wichtig geworden, stellte Müller-Peters von der Technischen Hochschule Köln fest. Man wolle diese Dienste mehr missen, so der Mitautor der Untersuchung. Denn sie seien zu einem ständigen Begleiter geworden. „Vor allem geben uns die digitalen Services mehr Freiheit sowie Kontrolle und erweitern dadurch unseren Möglichkeitsraum erheblich“, stellte Müller-Peters fest. Denn die digitale Vernetzung im Verkehr bedeute einen Gewinn an Nachhaltigkeit, an Effizienz, an Autonomie, an Sicherheit und auch an Bequemlichkeit. Die Bedenken in Bezug auf den Datenschutz rücken in den Hintergrund. Allerdings bestehen – so Prof. Müller-Peters – nach wie vor Befürchtungen um die Sicherheit der Daten an sich und davor, dass sie unmittelbar gegen den Verkehrsteilnehmer verwandt werden könnten.

Insgesamt zeigt die Studie des Goslar Instituts deutlich, dass bei allen an Mobilität beteiligten Gruppen überwiegend die Vorteile der Vernetzung im Verkehr wahrgenommen werden. Die Wissenschaftler zeigten aber auf, welche Möglichkeiten diese Daten eröffnen, wenn sie untereinander und mit Informationen von dritter Seite verknüpft werden. Aus diesen Daten können Services geschaffen werden, die den Verkehrsteilnehmern zum Vorteil gereichen. Das jedenfalls ist laut Studie die Sicht, die sich bei den Nutzern durchgesetzt hat.

Breite Datenspur

Allen Studienteilnehmern war bewusst, dass sie eine breite Datenspur hinterlassen in Form von Standortdaten, Bewegungsdaten oder auch Kommunikationsdaten. Von der schieren Menge dieser Daten zeigten sie sich allerdings überrascht. Dabei reichen die Wahrnehmungen von „Ich verteile Daten wie das Krümelmonster Krümel“ bis zu „Ich denke, dass ich mit dem Auto nur wenige Datenspuren hinterlasse“. Die große Hoffnung der Befragten: „Ich hoffe, dass mein Auto diskret ist.“

Worum aber handelt es sich bei den angesprochenen Mobilitätsdaten konkret? Zum einen um technische Daten zum Fahrzeug, wie Prof. Dr. Nadine Gatzert von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erläutert. Die Wirtschaftsmathematikerin ist ebenso wie Prof. Dr. Fred Wagner von der Universität Leipzig an der Erstellung der neuen Studie „Big Data in der Mobilität“ für das Goslar Institut beteiligt. Wir generieren laufend sehr viele Mobilitätsdaten nicht nur durch die Nutzung moderner Fahrzeuge, sondern auch durch Smartphones, Apps, sogenannte Sharing Services, öffentliche Verkehrsmittel oder Fitness-Armbanduhren.

Als Datensammler noch weniger bekannt als das Smartphone ist das Auto. Das zeigt die Auswertung der für die Studie deutlich. „Das Fahrzeug wird bislang vergleichsweise unterschätzt“, konstatiert Gatzert. Man vergesse, was über die Kameras und Sensoren der technischen Assistenzsysteme alles an Mobilitätsdaten aufgezeichnet wird. Dazu gehört auch das Fahrerprofil. Besonders spannend in diesem Zusammenhang sei die Frage, wer auf diese Daten zugreifen dürfen soll. „Da sind die Verbraucher wählerisch, zeigen ein Bewusstsein dafür, dass es um ihre Daten geht und wollen für ihre Herausgabe einen Vorteil genießen“, betont Müller-Peters. Benefits also, wie sie etwa die Telematiktarife der Kfz-Versicherer bieten.

Geringe Transparenz

Aber ist es tatsächlich so, dass nur die Daten zur weiteren Nutzung frei sind, von denen die Verbraucher dies wollen? Gatzert weiß, dass die entsprechenden Freigaben in Smartphone, Apps und auch Autos nicht blockiert werden. Die Expertin bemängelt in diesem Zusammenhang fehlende Transparenz. Für Nutzer solcher Geräte, besonders aber der Autos, sei es oft schwierig, die Einstellmöglichkeiten zur Datennutzung überhaupt zu finden. Das führe dazu, dass unbewusst mehr Daten weitergegeben werden als den eigenen Vorstellungen entspricht. Die wenigsten wollen Rückschlüsse auf ihre Lebensgewohnheiten, sozialen Strukturen oder gar Persönlichkeit zulassen.

Damit stellt sich in der Studie die Frage, wem die Verbraucher die Nutzung ihrer Mobilitätsdaten anvertrauen wollen? Die Studienteilnehmer zeigte dazu eine sehr pragmatische Einstellung: Sie wollen für ihre Daten im Gegenzug den größtmöglichen Nutzen für sich erzielen in Form von bestmöglicher Mobilität. Die Studie zeigt, es gibt eindeutige Erwartung an die Unternehmen, die mit den Daten der Verkehrsteilnehmer arbeiten wollen, dass sie kurz und präzise vermitteln, was mit den betreffenden Mobilitätsdaten geschehen soll. Dann besteht offenbar die Bereitschaft, die eigenen Daten abzugeben bzw. zu teilen-

Autohersteller hüten „ihren“ Datenschatz

Doch die Fähigkeit der Verbraucher, über die Daten zu entscheiden, ist eingeschränkt, weil die Automobilhersteller den „Datenschatz“ allein für sich reklamieren. Diese Einstellung widerspreche den legitimen Ansprüchen anderer Beteiligter, wie etwa Verkehrsunternehmen, Wissenschaft, aber auch von Versicherungen oder Marken-unabhängigen Dienstleistungsanbietern. Knorre plädiert deshalb für Lösungen, die den unterschiedlichen Ansinnen gerecht werden und Verkehrsträgern ermöglichen, übergreifende Mobilitätslösungen zu entwickeln.

Auf diesen Perspektivwechsel, weg von der ausschließlich rechtlichen Betrachtungsweise, zielt die Studie des Goslar Instituts ab. Gemeinsam ließen sich die großen Vorteile von Big Data in der Mobilität besser nutzen, besonders bei der Verkehrssicherheit, dem Klimaschutz und wegen zusätzlicher Wirtschaftskraft. Bislang werde der gesellschaftliche Nutzen von Big Data jedoch blockiert durch die divergierenden Eigeninteressen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen. Big Data sollte aber immer aus der Nutzenperspektive beurteilt werden. Um den Kunden den Nutzen von Mobilitätsdaten erklären zu können, ist demnach mehr Transparenz notwendig. Und es muss einen größtmöglichen Schutz vor Daten-Missbrauch geben, damit Verbraucher zum Teilen ihrer Daten bereit sind.

Die neue Studie des Goslar Instituts zu „Big Data in der Mobilität“ wird aus Aktualitätsgründen in zwei Teilen veröffentlicht. Jetzt erscheint ein sogenanntes Grünbuch, das sich auf die „Datenspuren der Verkehrsteilnehmer und Ansprüche der Stakeholder“ konzentriert. Der zweite Teil der Studie soll im Rahmen des Goslarer Diskurses 2023, dann hoffentlich wieder vor Ort und nicht vor dem Bildschirm, veröffentlicht werden. Das Grünbuch der Studie „Big Data in der Mobilität“ findet sich unter: https://raum-mobiler-daten.de/studie.html      (aum)

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