München / Mühldorf a.Inn / Rosenheim / Traunstein — Ob ärztlicher Arbeitgeber, Pflegekraft oder Azubi: Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich sind gesetzlich verpflichtet, bis zum 15. März entweder einen Impf- oder Genesenennachweis zu erbringen oder ein ärztliches Zeugnis vorzulegen, dass sie nicht gegen COVID-19 geimpft werden können. Wer keinen Nachweis vorlegt, darf in den jeweiligen Einrichtungen oder Unternehmen weder tätig sein noch beschäftigt werden. Die Gesundheitsämter können zwar Betretungs- und Tätigkeitsverbote aussprechen. Doch sie warten noch auf konkrete Handlungsanweisungen der vorgesetzten Stellen, wie die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Detail umzusetzen ist. Abwarten müssen auch Mittelständler wie Claudia Maier-Schöne, Inhaberin von Mobile Care, einem privaten häuslichen Alten- und Krankenpflegedienst in Waldkraiburg. Sie weiß von vorauseilenden Kündigungen und warnt: „Wir steuern auf eine pflegerische Katastrophe zu.“
In den Lokalzeitungen häufen sich seit Jahresbeginn die Stellengesuche von im Gesundheitsbereich tätigen Fachkräften. Beispiele: „Ungeimpfte examinierte Kinderkrankenschwester mit Stationsleiterkurs sucht ab 15.3.2022 einen neuen Wirkungskreis.“ – „Pflege- und Palliativfachkraft, ungeimpft, sucht ab 15.3.2022 neuen Wirkungskreis.“ – „Fachkrankenschwester, Intensiv/Anästesie/Palliativ sowie Heilpraktikerin, ungeimpft, sucht ab 15.3.2022 neue Wirkstätte.“ – „Stationssekretärin, freundlich, flexibel und gut organisiert, sucht neuen Wirkungskreis ohne Impfpflicht in Vollzeit.“ – „Ab 15.3.2022 Arbeitsanleiterin Krankenhaus sucht wegen Einführung der Impfpflicht in Krankenhaus neue Arbeit.“ – „Krankenschwester mit Abitur, Antikörper, aber ungeimpft, sucht ab 16.3.2022 neue Herausforderung in Teilzeit ohne Impfpflicht.“
Die laut Eigenangabe Ungeimpften suchen wegen der Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zum 15. März 2022 einen neuen Wirkkreis. Die Annoncen verweisen auf die vom Bundestag am 10. Dezember 2021 zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) beschlossene Impfpflicht für das Gesundheitspersonal. Konkret gemeint ist der von SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP eingebrachte und am 12. Dezember 2021 in Kraft getretene neue „§ 20a Immunitätsnachweis gegen COVID-19“, eine Ergänzung des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (⭱ Infektionsschutzgesetz – IfSG). Danach haben Beschäftigte ihrer jeweiligen Leitung bis zum 15. März 2022 entweder einen Impf- oder Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen COVID-19 geimpft werden können, vorzulegen.
Betroffene Einrichtungen und Unternehmen
Drei Gruppen von Einrichtungen oder Unternehmen sind vom Gesetz betroffen: erstens Krankenhäuser, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Dialyseeinrichtungen, Tageskliniken, Entbindungseinrichtungen, Behandlungs- oder Versorgungseinrichtungen, Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Rettungsdienste, sozialpädiatrische Zentren, medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderungen, Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation sowie Begutachtungs- und Prüfdienste, zweitens voll- oder teilstationäre Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen sowie drittens ambulante Pflegedienste.
Wird der Nachweis nicht fristgerecht vorgelegt oder bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit desselben oder verliert ein Nachweis ab dem 16. März 2022 seine Gültigkeit wegen Zeitablaufs, hat die Leitung unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und diesem personenbezogene Daten zu übermitteln. Das Gesundheitsamt kann dann sowohl eine ärztliche Untersuchung zur medizinischen Kontraindikation anordnen als auch einer Person, die trotz Aufforderung keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung keine Folge leistet, untersagen, die Betriebsräume zu betreten oder für den Arbeitgeber tätig zu werden. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine vom Gesundheitsamt erlassene Anordnung oder ein von ihm erteiltes Verbot haben keine aufschiebende Wirkung. Personen, die für die Einrichtungen oder Unternehmen erst ab dem 16. März 2022 tätig werden sollen, dürfen nur nach Vorlage des Nachweises beschäftigt werden. Die Nachweispflicht gilt aber nicht für Personen, die behandelt, betreut oder untergebracht werden.
Umsetzungsratschlag des Gesundheitsministeriums
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) hat sich vor Weihnachten zur Umsetzung und zum Vollzug der einrichtungsbezogenen Impfpflicht mit Schreiben vom 21. Dezember 2021 an die Kreisverwaltungsbehörden als untere Gesundheits- und Infektionsschutzbehörden gewandt. Das StMGP stellt heraus, weder Beschäftigungs- oder Vertragsverhältnis, noch Tätigkeitsbereich seien für die Nachweispflicht der Impfung von Bedeutung. Betroffen sind folglich neben dem medizinischen Personal das Pflege- und Betreuungspersonal, Verwaltungskräfte, Hausmeister, Transport-, Küchen- und Reinigungspersonal sowie Auszubildende, Praktikanten, Zeitarbeitskräfte und Ehrenamtler. Alle müssen entweder ihre Impfung mit einem oder mehreren der vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) genannten Substanzen und Dosen (ohne Booster) belegen oder einen Genesenennachweis erbringen oder ein ärztliches Zeugnis über medizinische Kontraindikation beibringen. Die Vorlagepflicht von Nachweisen ist jedoch zeitlich befristet, aktuell bis zum 31. Dezember 2022.
Das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, kann unabhängig von den Meldungen der Leitungen Stichprobenkontrollen durchführen. Es kann zudem Atteste verlangen, um „das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen“. Darüber hinaus kann das Gesundheitsamt ärztliche Untersuchungen anordnen mit dem Ziel, „eine möglichst objektive Beurteilung des Vorliegens einer medizinischen Kontraindikation zu erhalten“.
Das StMGP rät den Gesundheitsämtern zwar, von Betretungs- und Tätigkeitsverboten in der Regel Gebrauch zu machen, erläutert zugleich: „Die Versorgung der in den Einrichtungen oder Unternehmen behandelten, betreuten, gepflegten oder untergebrachten Personen muss aber in jedem Fall noch gewährleistet bleiben. Aufgrund dieser Möglichkeit, ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot auszusprechen, ist allerdings von einer zwangsweisen Durchsetzung der ärztlichen Untersuchung abzusehen.“ Ein Verstoß gegen die Nachweispflicht, das Betretungs- oder das Tätigkeitsverbot kann mit Geldbuße bis zu 2.500 Euro belegt werden.
Hinweise der Berufsverbände
Berufsverbände wie der Deutsche Hausärzteverband e. V. haben ihre Mitglieder inzwischen über die Modalitäten informiert. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat beispielsweise eine Handreichung zum Vollzug herausgegeben. Danach dürfen die ungeimpften Beschäftigten bis zum Tätigkeitsverbot weiterarbeiten, sofern sie dem Gesundheitsamt fristgerecht zum 15. März 2022 gemeldet wurden. Unterdessen sollen sie informiert werden über die Folgen des Beschäftigungsverbots und die daraus resultierende unbezahlte Freistellung: ruhendes Arbeitsverhältnis ohne Anspruch auf Entgelt und Urlaub sowie keine Sozial-, Kranken- und Pflegeversicherung.
Den „Hardlinern“ unter den Impffreien wird empfohlen, sich umgehend bei der Arbeitsagentur zu melden und „jeden Job außerhalb des Gesundheitsbereiches“ anzunehmen, denn nach derzeitiger Gesetzeslage bestehe nur dann Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn man sich rechtzeitig arbeitssuchend melde. Der DBfK ergänzt: „Wenn die Allgemeine Impfpflicht für alle kommt, wird es kein Arbeitslosengeld mehr geben, weil eine Beschäftigung ohne Impfung dann nirgends mehr möglich sein wird.“
Claudia Maier-Schöne, examinierte Altenpflegerin und Fachlehrkraft für Altenpflegeberufe mit eigenem ambulanten Pflegedienst in Waldkraiburg, warnt wiederum vor vorauseilender Kündigung der Impffreien: „Ich verstehe nicht, warum einige Arbeitgeber ihre bis jetzt noch ungeimpften Mitarbeiter so unter Druck setzen oder glauben, sie mit Prämien doch noch zur Impfung bewegen zu können.“ Manche Unternehmen lösten sogar schon wegen des voraussehbaren Personalnotstands ihre Versorgungsverträge. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass den Gesundheitsämtern daran gelegen ist, die Pflegeeinrichtungen, die seit Beginn der Corona-Krise am Anschlag arbeiten, in eine desaströse Lage zu manövrieren.“ Unklar sei auch, ob die Gesundheitsämter nun in das Personalmanagement eingriffen.
Gesundheitsämter warten auf Handlungsanweisungen
In Südostoberbayern bereiten sich die Gesundheitsämter zwar auf den Vollzug der einrichtungsbezogenen Impfpflicht vor, die konkrete Umsetzung ist aber noch ungeklärt.
Auf Nachfrage teilt das Landratsamt Mühldorf a.Inn hierzu mit, das Gesundheitsamt „steht in engem Kontakt mit der Regierung von Oberbayern sowie den weiteren Gesundheitsämtern der Region 18, um eine einheitliche Vorgehensweise abzustimmen“. Lägen im nächsten Schritt konkrete Handlungsanweisungen vor, ließe sich der Personalbedarf planen. Hinsichtlich der Betretungs- und Tätigkeitsverbote erklärt der Leiter des Gesundheitsamts Mühldorf a.Inn, Dr. Benedikt Steingruber: „Wir erwarten, dass den Gesundheitsämtern bis zum 15. März genaue Handlungsanweisungen an die Hand gegeben werden, sodass in den Landkreisen ein einheitlicher Vollzug in der Frage der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gewährleistet ist.“
Das Staatliche Gesundheitsamt Rosenheim bereitet sich ebenfalls „fachlich und rechtlich“ auf die Umsetzung vor. Auf Nachfrage erläutert das Landratsamt Rosenheim, bislang seien noch nicht alle Vollzugsfragen von den vorgesetzten Stellen geklärt. Den Vollzug werde das Gesundheitsamt aber „in enger Abstimmung mit den Leitungen der verpflichteten Einrichtungen durchführen“. Insbesondere bei der Anordnung von Betretungs- und Tätigkeitsverboten sei „zu beachten, dass die Versorgung der in den Einrichtungen behandelten, betreuten, gepflegten oder untergebrachten Personen in jedem Fall noch gewährleistet bleiben muss“. Dabei werde der Vollzug auch „die ohnehin angespannten personellen Kapazitäten der Behörde weiter belasten“.
Der Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes Rosenheim, Dr. Wolfgang Hierl, spricht den Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich für ihre Leistungen höchsten Respekt und vollste Anerkennung aus. Ihrem Impfstatus mißt Hierl „hohe Bedeutung“ bei, denn der häufige und enge Kontakt mit vulnerablen Gruppen bedeute „eine erhöhte Gefährdung für Ansteckungen und nachfolgendem schweren Krankheitsverlauf“: „Nach Abwägung der Argumente Pro und Contra unterstütze ich daher die neuen gesetzlichen Regelungen im Infektionsschutzgesetz, von denen im Übrigen auch die Gesundheitsämter betroffen sind.“
Das Gesundheitsamt Traunstein erläutert schließlich auf Nachfrage die gesetzlichen Grundlagen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht und dass bei Anordnung eines Beschäftigungsverbots die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers entfällt. „Wie das weitere Vorgehen konkret aussehen wird, ist uns derzeit noch nicht bekannt“, legt das Landratsamt Traunstein dar.
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