Wasserburg/Edling — „Falsche Bedienstete“, „Enkeltrickbetrug“, „Gewinnversprechen“: Die Polizei warnt inständig vor alten und neuen Maschen des Trickbetrugs. Doch die Gauner rufen nicht nur zuhause an oder klingeln Sturm an der Haustüre, sie warten auch am Straßenrand. So ist ein hilfsbereiter Familienvater aus Rott a.Inn einem raffinierten Duo aufgesessen: Die Trickbetrüger täuschten auf der Kesselseestraße zwischen Edling und Albaching eine Notsituation vor. Am Ende erbeuteten die mutmaßlich osteuropäischen Betrüger neben Bargeld auch Name und Adresse ihres arglosen Opfers. „So etwas hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm“, schildert der 31-Jährige fassungslos. Infolge seiner Anzeige bei der zuständigen Polizeiinspektion Wasserburg a.Inn fürchtet der Familienvater nun sogar die Rache der Gauner, solange sie nicht gefasst sind.
„Nepper, Schlepper, Bauerfänger“ heißen Betrüger im Volksmund, „perfide Straftäter“ nennt sie der Leitende Polizeidirektor Frank Hellwig, Vizepräsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd (PP OBS). Nüchtern beschreibt wiederum Paragraf 263 des Strafgesetzbuches (StGB) den Tatbestand Betrug als das Erlangen eines Vermögensvorteils mittels Täuschung, etwa „durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen“. Allerdings sind die Erscheinungsformen genauso vielfältig wie die Schauplätze und Gelegenheiten. Raffinierte Betrüger richten häufig beträchtlichen Schaden an, ihr Wirken kann für die Opfer oft existenzielle Folgen haben. Selbst die Corona-Krise nutzen sie, um beispielsweise gefälschte Impfpässe über das Internet zu verkaufen oder sich als vermeintliche Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, COVID-19-Tester oder Spendensammler Zutritt zu Wohnungen zu verschaffen, damit sie Bargeld und Wertsachen entwenden können.
Trickbetrug am Telefon und an der Haustür
Unabhängig von der verwendeten Legende fasst das PP OBS in seiner Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) unter dem Begriff „Callcenter Betrug“ alle Arten des Trickbetrugs zusammen, „bei denen die Kontaktaufnahme der Täter offensichtlich aus sogenannten Callcentern stattfindet, ein arbeitsteiliges Vorgehen der Täter vorliegt beziehungsweise anzunehmen ist und es sich bei den Geschädigten überwiegend um ältere Menschen handelt“.
Genauer hingeschaut, sind die bedeutendsten Maschen im Bereich „Callcenter Betrug“: „falsche Bedienstete“, „Enkeltrickbetrug“ und „Gewinnversprechen“. Da die Tätergruppen in den schadensträchtigen Bereichen „falsche Polizeibeamte“ und „Enkeltrick“ äußerst konspirativ vorgehen, müssen die Ermittlungen hier hoch professionell erfolgen, wofür im Jahr 2016 eigens die Ermittlungsgruppe (EG) „Legendenbetrug“ eingerichtet wurde. In der PKS 2020 des PP OBS nennt die EG „Legendenbetrug“ insgesamt 1.435 Versuchsfälle (2019: 1.061) und 14 Vollendungen (2019: 19) mit einer Schadenssumme von 581.000 Euro (2019: 1.761.500 Euro, ein Rückgang um 67 Prozent in der Corona-Krise mit ihren Lockdowns).
Trickbetrug am Straßenrand
Neben dem „Callcenter Betrug“ daheim beobachtet die Polizei gerade in den neuen Bundesländern die sogenannte „Benzinbettelei“ unterwegs: Schwindler täuschen eine Notlage oder Autopanne vor, um von arglosen Hilfswilligen Bargeld zu ergaunern. So jüngst auch in Edling geschehen: Ein 31-jähriger Familienvater befährt zur Mittagszeit bei sommerlichem Wetter die Kesselseestraße Richtung Albaching, auf dem Rücksitz sein minderjähriger Sohn. Aus der Ferne erblickt der Rotter an einer einsamen Bushaltestelle einen abgestellten Wagen, vermutlich ein Škoda Octavia. Davor winken zwei Personen, signalisieren eine Notlage.
Der 31-jährige Industriemechaniker hält an, parkt vor dem dunklen Škoda. Ein Mann tritt direkt an die Fahrertür des Hilfswilligen, blockiert dessen Ausstieg. Eine Frau stellt sich zwischen die Autos. Der Mann spricht den Rotter mit polnischem Akzent an, schildert undeutlich, beide seien aus dem Urlaub kommend auf der Heimreise und müssten tanken, doch die EC-Karte sei defekt und ihnen fehle Bargeld. Der gutmütige Familienvater lässt sich überreden, dem Mann 50 Euro zu leihen. Damit der Unbekannte seinem Helfer das Geld per Brief zurückschicken könne, erhält er die komplette Heimatanschrift des Hilfswilligen. Dieser fotografiert als Pfand eine Seite vom Reisepass des Unbekannten. Danach fährt der Rotter nach Hause.
Dort grübelt der 31-Jährige und bemerkt, dass der Unbekannte ihn lediglich eine leere Visa-Seite hat fotografieren lassen, auf der obendrein ein Finger die Pass-Nummer verdeckt. Ihm wird gewahr, die Frau hatte sich so positioniert, dass das Nummernschild des Škoda verdeckt war. Und ihm dämmert, dass er Opfer eines Trickbetrugs geworden ist und das Aushändigen seiner Kontaktdaten Folgen für die Familie haben könnte. Umgehend fährt er zur Polizeiinspektion Wasserburg a.Inn, erstattet Anzeige.
Notruf 110 wählen
„So etwas hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm“, erklärt der Industriemechaniker selbstkritisch. Obwohl mit Warnungen vor diversen Betrugsmaschen aufgewachsen, waren diese bislang für ihn kryptisch. Doch: „Sie wussten genau, was sie taten“, erläutert der 31-Jährige, der nun andere vor der Masche warnen möchte.
Die Polizei bestätigte ihm, dass vorgetäuschte Autopannen beliebte Ablenkungsmanöver von Trickbetrügern sind. Deren Rat: An Eigenschutz denken, stets Kofferraum und Türen verriegelt halten, die Fenster nur einen Spalt öffnen, Fremden kein Geld aushändigen, die Polizei über Notruf 110 verständigen und sie auf die mutmaßliche Notsituation aufmerksam machen. Bereits das bloße Erwähnen der Polizei könne den Trickbetrug verhindern, denn den Gaunern sei in der Regel Anonymität wichtig.
Mehr Information zur Prävention und Verhaltenshinweise sind online abrufbar unter www.polizei-beratung.de, www.weisser-ring.de, www.pfiffige-senioren.de und www.verbraucherzentrale.de.
Ihre Meinung ist uns wichtig! Leserbriefe bitte an redaktion@blick-punkt.com oder über unser Kontaktformular.
Leserinnen und Leser dieses Beitrags interessierten sich auch für diese blick-Artikel:
• Ausweg aus dem Lockdown via Modellprojekt? Söder: „Perspektive bei Testen und Impfen“ (23.03.2021).
• Corona-Krise: Gedruckte kostenlose Wochenzeitungen begehrt – Schaeffer: „Unverzichtbare Informationsquelle im Lokalen“ (15.02.2021).
• Corona-Krise: Öffnungsperspektive gegen Verzweiflung – Sasse: „Die Lage ist bitterernst“ (10.02.2021).
• Corona-Krise: Reisefreizügigkeit mit Impfnachweis? – Impfkarte ohne „formale Gültigkeit“ (26.01.2021).
• Mobile Raumluftreiniger sollen Virenlast in Schulen verringern: „AHA“-Regel wird zur „AHA-L“-Maßgabe (06.10.2020).
• „Corona-Warn-App“: Freiwilligkeit vs. Nutzungspflicht – Infizierte Arbeitnehmer haben Informationspflicht (17.06.2020).
• Kontaktverfolgung per Smartphone: „Corona-Warn-App“ ante portas (03.06.2020).
• Kontroverse um „Corona-Demos“: Legitime Kritik oder gefährliche Spinnerei? (26.05.2020).
• Corona-Krise beeinträchtigt Freizeitbranche: Fitnessclubs und Tanzschulen bangen um Existenz (13.05.2020).
• Schrittweise Unterrichtsaufnahme in der Corona-Krise: „Absolut schülerfreundlich“ (29.04.2020).
• Coronavirus-Epidemie hat regionale Folgen – Huml: „Ausbreitung verlangsamen“ (11.03.2020).
• Maßnahmen zum Infektionsschutz gegen das Coronavirus – Hierl: „Bewahren Sie einen klaren Kopf!“ (05.03.2020).