Berlin/München — Abstandhalten, Hygienemaßnahmen, Alltagsmasken und Lüftungen sollen diesen Herbst und Winter die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) verringern. Neue COVID-19-Fälle, regional schlagzeilenträchtige Quarantäne-Maßnahmen und die bevorstehenden Herbstferien rücken die Schulen in den Mittelpunkt dieser „AHA-L“-Maßgabe. So fordert Bundesbildungsministerin Anja Karliczek erhöhte Anstrengungen, um den Schulbetrieb sicherzustellen: Alle Beteiligten sollten sich beim Präsenzunterricht in Klassenräumen diszipliniert verhalten. Zugleich unterstützt das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus (StMUK) die Träger der Schulen mit einem Gesamtvolumen von 37 Millionen Euro bei der Umsetzung technischer Maßnahmen zum „infektionsschutzgerechten Lüften“. Betroffen im Freistaat: circa 86.000 Klassen- und Fachräume sowie Lehrerzimmer in rund 6.000 Schulen.
„Präsenzunterricht soll auch in Zukunft das Normalereignis in Deutschland bleiben“, betont die Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett Merkel IV, Anja Karliczek (CDU). Deshalb müsse bereits beim Verdacht auf eine COVID-19-Infektion in einer Klasse „rasch und entschieden reagiert werden“, um eine Schulschließung zu vermeiden. Möglicherweise vom „Virusgeschehen“ betroffene Kinder müssten „schnellstens in Quarantäne gehen und dann auch getestet werden“. Das würde den Lehrkräften verständliche Sorgen vor einer Infektion nehmen, meint Karliczek. Und sobald ein Impfstoff verfügbar sei, sollten sich Lehrer wegen der Vielzahl an Kontakten in der Schule mit als Erste gegen SARS-CoV-2 impfen lassen können. Dies hülfe, den für die Gesellschaft so wichtigen Schulbetrieb aufrecht zu erhalten.
Zuvor muss jedoch das Infektionsrisiko in Klassenräumen verringert werden, sprich: Die respiratorische Aufnahme virushaltiger Flüssigkeitspartikel als Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist einzudämmen. Erreicht werden soll dies dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge durch „hybride Lüftung“, die hygienisch und technisch zum Standard in Unterrichtsgebäuden werden soll: Dabei wird eine Grundlüftung mittels Raumlufttechnische Anlage (RLT) flankiert durch infektionsschutzgerechtes Lüften.
„AHA“ wird zu „AHA-L“
„Dem infektionsschutzgerechten Lüften kommt gerade in den bevorstehenden Herbst- und Wintermonaten enorme Bedeutung zu“, erklärt der Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus, Prof. Dr. Michael Piazolo (Freie Wähler). Er formuliert griffig: „Aus der bewährten AHA-Formel – Abstandhalten, Hygienemaßnahmen und Alltagsmasken – wird nun AHA-L.“ Piazolo zufolge ist Lüften „nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen“ ein wichtiges Element, um Infektionen vorzubeugen. Das Förderprogramm des StMUK werde den Schulaufwandsträgern „schnell und unbürokratisch“ dabei helfen, die Gebäude adäquat auszurüsten: Gefördert werde die Beschaffung von CO2-Sensoren für jeden Klassen- und Fachraum (bis zu 150 Euro pro Sensor) sowie von mobilen Raumluftreinigern mit Filtern (bis zu 3.500 Euro pro Gerät). Sie seien geeignet für Räume, die nicht ausreichend durch gezieltes Fensteröffnen oder durch eine RLT gelüftet werden könnten.
Der Bayerische Philologenverband (bpv) begrüßt die angekündigten Investitionen zur Verbesserung der Innenraumhygiene in Klassenzimmern, mahnt jedoch zur Eile. Das Ziel der Verringerung der Virenlast durch Luftaustausch kann nach den Worten des bpv-Vorsitzenden Michael Schwägerl zwar nur durch den Einbau von RLT erreicht werden. „Wegen der Planungen und Ausführungen ist das aber zu spät für die kommende Heizperiode, die Zeit drängt jetzt.“ Deshalb kämen kurzfristig nur sachgerechtes Lüften und mobile Raumluftreiniger in Frage. Dafür empfiehlt der bpv ein zweistufiges Vorgehen: Erstens müssten die Sachaufwandsträger dringend bestehende bauliche Mängel beseitigen und zweitens müssten CO2-Messgeräte die Lüftungsleistung in allen Schulräumen erfassen. „Wenn bereits jetzt klar ist, dass keine Belüftung möglich ist, sollten sofort Raumluftreiniger zum Einsatz kommen“, unterstreicht Schwägerl. Dieses Vorgehen stelle sicher, dass die „AHA“-Regel durch das Lüften ergänzt werde, mithin zur „AHA-L“-Maßgabe wird.
Richtschnur fürs Lüften
Die Kommission Innenraumlufthygiene (IRK) am UBA empfiehlt eine möglichst hohe Frischluftzufuhr als wirksamste Methode, um potenziell virushaltige Aerosole aus Innenräumen zu entfernen. Für Klassenraumgrößen von circa 60 bis 75 Kubikmetern und einer Schüleranzahl von üblicherweise 20 bis 30 Kindern je Klasse nennt das IRK eine Daumenregel: In jeder Unterrichtspause muss intensiv bei weit geöffneten Fenstern gelüftet werden. Bei Unterrichtseinheiten von mehr als 45 Minuten Dauer ist auch während des Unterrichtes zu lüften. Dabei ist auf Querlüftung zu achten, damit die Lüftung nicht zu einer Verbreitung potenziell infektiöser Aerosole in andere Räume führt. CO2-Sensoren könnten helfen, die Lüftungsnotwendigkeit rasch zu erkennen. Und vorhandene RLT sollten möglichst durchgehend laufen. Sofern Personen krankheitsbedingt niesen und husten, sollte unmittelbar (stoß-)gelüftet werden. Gleiches gelte zu Hause und im Büro.
Für alle Schulen im Sinne des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in öffentlicher und privater Trägerschaft sowie für die Mittagsbetreuung gilt der sogenannte „Rahmenhygieneplan Schulen“ (Rahmenhygieneplan zur Umsetzung des Schutz- und Hygienekonzepts für Schulen nach der jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung) des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 2. Oktober 2020. Danach ist gleichlautend zum IRK durch vollständig geöffnete Fenster eine Stoß- oder Querlüftung mindestens alle 45 Minuten für wenigstens fünf Minuten vorzunehmen. Sei dies nicht möglich, müsse durch das Öffnen von Türen und eine längere Lüftungszeit für ausreichenden Luftaustausch gesorgt werden. Grundsätzlich sollten RLT mit möglichst hohem Frischluftanteil betrieben werden.
Erkältung unwahrscheinlich
„An den Schulen wird die AHA-Regel bereits erfolgreich praktiziert“, erläutert Schwägerl. „Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler halten sich an die Regeln und nehmen viele Einschränkungen in Kauf, damit der Präsenzunterricht weiterhin möglich ist. Jetzt muss noch für dauerhaft frische Luft in den Klassenzimmern gesorgt werden“, so der Studiendirektor. Die im Volksglauben verbreitete Sorge, kalte Außenluft führe zu Erkältungen, entkräftet der bayerische Landesvorsitzende des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte e. V., Dr. Bernhard Junge-Hülsing. Vielmehr sorge Stoßlüften für schnellen Luftaustausch und geringe Viruskonzentration. Junge-Hülsing zufolge würden Räume mit durchschnittlich 23°C auf eine viel zu hohe Temperatur gebracht, während der Mensch problemlos mit 18°C bis 19°C zurechtkäme. „Es ist dann so, dass man eben nicht mehr mit einem T-Shirt da sitzen kann, sondern mit einem Pullover“, sagt der HNO-Arzt.
Ihre Meinung ist uns wichtig! Leserbriefe bitte an redaktion@blick-punkt.com oder über unser Kontaktformular.
Leserinnen und Leser dieses Beitrags interessierten sich auch für diese blick-Artikel:
• „Corona-Warn-App“: Freiwilligkeit vs. Nutzungspflicht – Infizierte Arbeitnehmer haben Informationspflicht (17.06.2020).
• Kontaktverfolgung per Smartphone: „Corona-Warn-App“ ante portas (03.06.2020).
• Kontroverse um „Corona-Demos“: Legitime Kritik oder gefährliche Spinnerei? (26.05.2020).
• Corona-Krise beeinträchtigt Freizeitbranche: Fitnessclubs und Tanzschulen bangen um Existenz (13.05.2020).
• Schrittweise Unterrichtsaufnahme in der Corona-Krise: „Absolut schülerfreundlich“ (29.04.2020).
• Coronavirus-Epidemie hat regionale Folgen – Huml: „Ausbreitung verlangsamen“ (11.03.2020).
• Maßnahmen zum Infektionsschutz gegen das Coronavirus – Hierl: „Bewahren Sie einen klaren Kopf!“ (05.03.2020).