Mühldorf am Inn – Lebensmittelüberfluss hier, Armenspeisung dort, mittendrin die gemeinnützigen Tafeln. Bundesweit bemühen sich über 60.000 ehrenamtliche Helfer, die Armutsfolgen für rund 1,6 Millionen Menschen zu lindern. Hilfsbedürftige erhalten verzehrfähige, überschüssige Lebensmittel, die im Wirtschaftsprozess keine Verwendung mehr finden. Mehr noch: Mitgefühl wird gezeigt, Trost gespendet, Zuversicht vermittelt. „Eine überaus wertvolle Einrichtung“, nennt Bürgermeisterin Marianne Zollner (SPD) denn auch die barrierefreie Mühldorfer Tafel in der Mühlenstraße 22 hinter dem Kulturschupp’n. Getragen vom gemeinnützigen Verein „Besser Leben“ ist die Tafel seit nunmehr zehn Jahren wichtiger Bestandteil der Stadt und des Landkreises. Die angeschlossene Kleiderkammer bietet zudem Bekleidung zu sehr günstigen Preisen. Daneben haben die Mühldorfer Tafel, die Fachstelle für Senioren am Landratsamt und die „FreiwilligenAgentur Ehrensache“ 2013 für den gesamten Landkreis den „Tafel-Lieferservice“ für bedürftige Senioren und körperlich eingeschränkte Bürger eingerichtet. Grund genug, die Arbeit der Helfer in einer Feierstunde im Kulturschupp’n zu würdigen.
„Wir sind eine sehr wohlhabende Gesellschaft und es ist fast eine Schande, dass wir Menschen noch mit Lebensmitteln unterstützen müssen, damit sie über die Runden kommen“, ist Bürgermeisterin Zollner überzeugt. Die Gesellschaft drifte auseinander und die Politiker stünden in der Verantwortung, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Deshalb sei es für die Stadt Mühldorf am Inn wichtig, Lebensqualität auch jenen Bürgern zu bieten, „die es im Leben etwas schwerer haben“. Während die Stadt adäquaten Wohnraum schaffe – allein in 2019 können 64 neue seniorengerechte Sozialwohnungen bezogen werden – und sich Zollner in diesem Sinne als „Sozialarbeiterin“ versteht, versorge die Tafel auf vorbildliche Weise Hilfsbedürftige mit Lebensmitteln. „Unser Gemeinwesen würde nicht funktionieren ohne Menschen, die sich über das normale Maß hinaus engagieren“, betonte die SPD-Politikerin nun in einer Feierstunde aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Mühldorfer Tafel vor rund sechzig Ehrenamtlern aus Mühldorf, Burghausen und Landshut. Marianne Zollner dankte ihnen eingehend und überreichte zur Unterstützung des Engagements Detlef Künzel, Leiter der Mühldorfer Tafel, eine Spende des „Mühldorfer Hilfsfonds“ in Höhe von 1000 Euro.
Die „hervorragende Zusammenarbeit“ mit der Mühldorfer Tafel unterstrich stellvertretend für Landrat Georg Huber (CSU) auch Sigrid Auer von der Fachstelle für Senioren am Landratsamt. Nach Auers Worten erhalten Menschen, die nur noch eingeschränkt am sozialen Leben teilhaben können, gerade durch den Tafel-Lieferservice Ansprache und Zuwendung. Die Fachstelle organisiere zudem Hausbesuche, um Betroffene bei allen medizinischen, pflegerischen und finanziellen Fragen zu unterstützen. Mit Blick auf die zunehmende Altersarmut steige der Bedarf an solchen Diensten, erläuterte Auer und fügte an: „Mit dem Anspruch, Menschen in Not einfach und schnell zu helfen, sind die Tafeln ein Stück gelebte Solidarität.“ Denn: Alle ehrenamtlichen Helfer zeigten Mitmenschlichkeit. „Diese Hilfsbereitschaft und dieses Engagement sind der wichtige Kit für unsere Gesellschaft“, betonte Auer und dankte für „viele segensreiche helfende Hände“.
„Tafel ist integraler Bestandteil“
Stellvertretend für die Vorsitzende des Trägervereins „Besser Leben“, Sylvia Steinweber-Merkl, unterstrich Jürgen Merkl in der Feierstunde: „Unser größter Wunsch wäre eigentich, wenn wir keine Tafel bräuchten – aber die Menschen, die jede Woche zur Tafel kommen, sind froh, dass es sie gibt.“ Die erste Warenausgabe an damals acht Bedürftige startete am 13. März 2009. Die Vergabe ist simpel: Die Waren werden von der Mühldorfer Tafel kostenlos an registrierte Personen ausgegeben. Die Registrierung läuft jeden Donnerstag ab 13 Uhr und kostet einen symbolischen Beitrag von 2 Euro pro Ausgabe und Familie. Der erforderliche Berechtigungsschein ist bei der Tafel nach Vorlage des Sozialhilfe- oder Rentenbescheides zu erhalten. In Stadt und Landkreis Mühldorf nehmen laut Künzel mittlerweile 250 bis 300 Menschen das Angebot wahr. Die Zahl könnte höher sein, wenn vor allem Ältere und Alleinstehende nicht aus Scham oder Unwissenheit auf die Hilfeleistung verzichteten. Die Logistik des Tafel-Lieferservice allein wird von sieben Ehrenamtlern sichergestellt.
„Schlüssig und überzeugend“, ist für Alfons Wastlhuber, Geschäftsführer von „Ehrensache – Die Freiwilligenagentur im Landkreis Mühldorf a. Inn e. V.“, die Idee, überschüssige und noch verwendbare Lebensmittel zu sammeln und sie Hilfsbedürftigen zukommen zu lassen. Für Wastlhuber ist es paradox, dass sich in einem der reichsten Länder der Welt immer weniger Menschen ausreichende und qualitativ hochwertige Lebensmittel zu leisten vermögen. Die „überaus engagierten“ Helfer der Mühldorfer Tafel bemühten sich um einen Ausgleich, leisteten „einen unverzichtbaren Beitrag“, Bedürftige im sozialen Netz aufzufangen und nähmen persönlich Anteil an den Problemen und Schicksalen der Menschen. Die Tafel habe sich in den zehn Jahren ihres Bestehens zum „integralen Bestandteil“ in Stadt und Landkreis entwickelt. Dank gelte auch den sozial engagierten Sponsoren, den Spendern und den Lebensmittelhändlern. Zugleich sollte laut Wastlhuber die Existenz von Tafeln auch eine „eindringliche Warnung sein, politische Fehlentwicklungen zu korrigieren“. Die Tafeln könnten nur die Auswirkungen der Armut lindern, nicht aber die Ursachen der Armut bekämpfen.
Mehr Information zum Trägerverein und der Tafel ist online abrufbar unter www.better-living-ev.de und www.tafel-muehldorf.de.
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